2023 – das Jahr, in dem die Geopolitik nach Südamerika kam

Die Region wird zunehmend in die Auseinandersetzungen der Weltmächte hineingezogen und lokale Konflikte drohen, geopolitisch aufgeladen zu werden.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Noch Anfang dieses Jahres dominierte in der südamerikanischen Politik die Auffassung, dass die großen geopolitischen Auseinandersetzungen hier wenig Einfluss hätten. Ukraine-Russland, China-USA – das alles fand so weit entfernt statt, dass diese Konflikte in der Region kaum Auswirkungen haben könnten. Im Gegenteil: Man hegte die leise Hoffnung, dass Südamerika Krisengewinnler sein könnte.

Die Welt brauchte plötzlich mehr Rohstoffe und Energie von dort. Das galt für Lebensmittel und Öl genauso wie für Erze wie Lithium oder Kupfer. Südamerika schien die Region zu sein, die für Ausfälle und Veränderungen auf dem Weltmarkt einspringen konnte: Für die bedrohten Ernten in der Ukraine, das mit Sanktionen belegte russische Öl sowie bei den für die Energiewende benötigten Technologien, die Rohstoffe brauchten.

Mehr noch: In Südamerika hoffte man sogar, dass die Ökonomien der Länder durch neue Investitionen ausländischer Konzerne profitieren könnten. Stichwort: Friend- oder Nearshoring. Damit ist gemeint, dass Multis weltweit ihre Fabriken aus China abziehen und in andere Regionen verlegen könnten.

Doch es kam anders: Von Nearshoring ist in Südamerika noch nichts zu spüren – in Mexiko oder Mittelamerika mag das anders sein. Aber hier halten sich die Multis mit Investitionen sogar eher zurück.

Tatsächlich profitiert hat die Region zeitweise von den steigenden Preisen für Agrarprodukte, Energie und industrielle Rohstoffe, doch der Effekt ist inzwischen verpufft.

Als falsch dagegen erwies sich die Vorstellung, dass die weltweiten Spannungen nur gefiltert in Südamerika ankommen würden.

Ein Beispiel dafür, war der Amtsantritt des Präsidenten Javier Milei in Buenos Aires. Dort kam es zu einer ungewöhnlichen Szene: Plötzlich standen sich der ungarische Präsident Victor Orbán und Wolodymyr Selensky aus der Ukraine gegenüber und führten einen intensiven Disput. Mit Argentinien oder Südamerika hatte der wenig zu tun.

Außerdem schwelen Konflikte in der eigenen Nachbarschaft, so wie jetzt zwischen Venezuela und Guyana. Diese regionalen Auseinandersetzungen drohen, geopolitisch aufgeladen zu werden.

Denn in der Karibik stehen die USA auf Seiten Guyanas und Russland unterstützt Venezuela. Putin hat das Karibikland militärisch hochgerüstet. Auch China zieht im Hintergrund seine Fäden, weil es mit beiden Staaten politisch wie wirtschaftlich eng verbunden ist. Der venezolanische Machthaber Maduro scheint Putins Vorgehen gegenüber der Ukraine als Blaupause genommen zu haben.

Nun schauen alle auf Brasilien als Regionalmacht: Kann Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den Konflikt vor seiner Haustür lösen? Brasilien steht vor dem größten außenpolitischen Problem seit Jahren. Präsident Lula sagt zu Recht: „Was wir wirklich nicht in unserer Region brauchen können, ist ein Krieg.“

Tatsächlich ist es seit langem ein Standortvorteil Südamerikas, dass es kaum regionale Konflikte gibt. Zwar ist die öffentliche Sicherheit wegen der hohen Kriminalität gering, aber Kriege zwischen Nationen gab es schon lange nicht mehr, wenn man von den kurzen Auseinandersetzungen zwischen Peru und Ecuador vor knapp 30 Jahren absieht.

Das ändert sich gerade: Es scheint, als sei die Geopolitik plötzlich nach Südamerika gekommen. Die Region wird zunehmend in die Auseinandersetzungen der großen Mächte hineingezogen und ist in der Weltpolitik nicht mehr wie bisher der ferne Kontinent.

Flaggen
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Befinden sich EU und Mercosur im Endspurt zum Abkommen?

Es dürfte der wohl letzte Versuch sein, das Vertragswerk zwischen der EU und Südamerika noch zu retten. Vor allem der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva wirft sich mächtig ins Zeug, um noch zu einem Ergebnis zu kommen. Zieht die EU mit?

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Zwei Monate war der brasilianische Präsident Lula nach seiner Hüftoperation nicht mehr ins Ausland gereist. Doch jetzt hat er eine furiose Tour gestartet, die – mit etwas Glück und Geschick – mit einem krönenden Abschluss zu Ende gehen könnte. Die Hoffnungen in Brasilien sind groß, dass Lula nach seinen Staatsvisiten in Dubai und Berlin beim Treffen des Mercosur am 7. Dezember in Rio de Janeiro mit den anderen südamerikanischen Präsidenten das Abkommen zur größten Freihandelszone der Welt verkünden kann.

Das Timing von Lulas Agenda ist perfekt: In Dubai wird Lula bei der Klimakonferenz als Weltklimaschützer auftreten. Die Präsidenten der USA und China reisen nicht an. So dürfte der brasilianische Präsident mehr Aufmerksamkeit bekommen. Mit 2400 Teilnehmern ist die brasilianische Delegation die größte der Konferenz.

Lula wird dort verkünden, dass seit seinem Amtsantritt im Januar dieses Jahres bis Oktober die Rodungen im Amazonasgebiet um fast 50 Prozent zurückgegangen sind. Das ist ein großer Erfolg – und wird den Gegnern des Mercosur-Abkommens in der EU den Wind aus den Segeln nehmen. In Dubai will sich Lula zudem mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen treffen, um die letzten Hindernisse beim Abkommen aus dem Weg zu räumen.

Danach wird Lula ab dem 4. Dezember für die deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen mit seinen wichtigsten Ministerinnen und Ministern in Berlin auftreten. Zwei Dutzend bilaterale Abkommen sollen unterzeichnet werden.

Brasilien ist das einzige Land in Nord- und Südamerika mit dem Deutschland Regierungskonsultationen unterhält. Das erste – und letzte Mal – fanden sie 2015 statt. Mit der Regierung Lula will Berlin die Zusammenarbeit wieder intensivieren. Auch mit dem Bundeskanzler wird Lula über die künftige Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Mercosur sprechen.

Beim Mercosur-Gipfel am 7. Dezember in Rio de Janeiro könnte dann das Abkommen verkündet werden. Dabei ist wichtig, dass die designierte Außenministerin Argentiniens gerade in Brasília erklärt hat, dass die am 10. Dezember antretende Regierung unter Präsident Javier Milei das EU-Mercosur-Abkommen unterstützt.

Jetzt oder nie – die Chancen, dass das Abkommen noch nächstes Jahr zu Ende verhandelt und abgeschlossen werden könnte, sind gering.

Paraguays Staatschef Santiago Peña Palacios hat bereits verkündet, dass der Mercosur unter seiner Präsidentschaft, die in Rio beginnen wird, nicht weiter mit der EU verhandeln wird. Uruguays Präsident Luis Alberto Lacalle Pou hat letzte Woche auf seinem Staatsbesuch in Peking erklärt, dass er mit China und dem Mercosur ein bilaterales Abkommen aushandeln wolle. Das Argument: Die EU komme nicht voran.

Die Mercosur-Diplomaten haben schon vorgesorgt, sollte das Abkommen mit der EU doch noch auf den letzten Metern scheitern: In Rio soll Bolivien als Vollmitglied in den Mercosur aufgenommen werden. Gleichzeitig wird die südamerikanische Wirtschaftsgemeinschaft mit Singapur ein Freihandelsabkommen abschließen.

Damit könnte der Gipfel als Erfolg gefeiert werden – auch ohne ein Abkommen mit der EU.

Wettkampf
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Lateinamerika wird als Öllieferant für den Weltmarkt wichtiger

Innerhalb von Lateinamerika verschieben sich die Verhältnisse zwischen den Ölproduzenten: Guyana, Brasilien und Argentinien werden ihre Produktion bis 2030 steigern. Ecuador, Mexiko und Kolumbien dagegen verlieren an Bedeutung – genauso wie Venezuela.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Lateinamerika hat nach dem Nahen Osten die zweitgrößten Öl- und Gasreserven weltweit. Doch die rund acht Mio. Fass am Tag (bpd), welche die Staaten produzieren, werden mehrheitlich in der Region verbraucht.

Doch das könnte sich ändern – betrachtet man die Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA). Danach wird die Ölproduktion Lateinamerikas bis 2030 auf zehn bis elf Mio. bpd anwachsen – je nachdem ob die Staaten die zugesagten Klima-Emissionen des Pariser Abkommens einhalten oder nicht. Damit würde ein Viertel der wachsenden Ölproduktion weltweit aus Lateinamerika kommen.

Dabei verschieben sich die Gewichte innerhalb der Region – wie bereits in den letzten Jahren. Derzeit fördert Brasilien an der Spitze rund 35 Prozent des Öls in Lateinamerika. Mexiko folgt mit 25 Prozent. Kolumbien, Venezuela und Argentinien tragen jeweils weniger als zehn Prozent zur regionalen Produktion bei.

Doch traditionelle Ölförderländer wie Mexiko, Kolumbien und Ecuador werden ihre Ölproduktion weiter reduzieren. In Kolumbien und Ecuador wollen die Regierungen aus klimapolitischen Gründen keine neuen Förderlizenzen vergeben. In Ecuador hat gerade die Bevölkerung bei einem Volksentscheid die Ölförderung im Regenwald abgelehnt. In Kolumbien will Präsident Gustavo Petro die Öl- und Gasförderung reduzieren.

In Mexiko dagegen setzt Präsident Andrés Manuel López Obrador dezidiert auf die Ölproduktion und nicht auf erneuerbare Energien. Doch der Staatskonzern Pemex ist der höchstverschuldete Ölkonzern weltweit und nicht in der Lage, die Tiefseevorkommen in der Karibik zu erschließen.

Brasilien dagegen hat sich nach der Entdeckung der Tiefseevorkommen vor Rio de Janeiro im Jahr 2007 voll auf die Erschließung der sogenannten Pré-Sal-Vorkommen konzentriert. Von 40.000 Fass haben der staatliche Konzern Petrobras und private Ölkonzerne die Förderung auf 2,2 Mio. bpd gesteigert. Brasilien ist heute die Nummer 8 unter den Ölförderländern weltweit.

Im Norden Brasiliens, nahe der Mündung des Amazonas werden weitere große Vorkommen vermutet. Derzeit findet in Brasilien zwischen Umweltschützern und der Ölindustrie ein politisches Tauziehen statt, ob diese Vorkommen erschlossen werden sollen oder nicht.

Die Ölindustrie ist zuversichtlich, dass nördlich des Äquators große Ölvorkommen existieren. Denn nicht weit entfernt davon hat der Ölkonzern Exxon in Guyana 2015 die größten neuen Ölvorkommen weltweit entdeckt. Die Förderung in der Karibik wird rasant ausgebaut. 2030 kann die Produktion vor der Küste von Guyana von derzeit rund 300.000 bpd auf 1,2 Mio. bpd gesteigert werden.

Argentinien könnte das dritte Land in Lateinamerika sein, dass bis 2030 seine Förderung steigern kann. Dort versiegen zwar die herkömmlichen Ölvorräte. Doch das Land besitzt gewaltige Schieferölvorkommen, die private Unternehmen entwickeln wollen.

Während Brasilien und Guyana bis 2030 jeweils eine Mio. bpd zusätzlich produzieren könnten, schätzt die IEA den Zuwachs für Argentinien auf eine halbe Mio. bpd. Bei der Ölförderung in Brasilien wie in Guyana wird zudem deutlich weniger Kohlendioxid freigesetzt als im weltweiten Durchschnitt.

Das einst wichtigste Ölland der Region, der OPEC-Gründungsstaat Venezuela, dagegen wird in absehbarer Zeit seine Produktion nicht nennenswert steigern können, erwartet die Energieagentur.

Dort verhindern die korrupte Führung des staatlichen Ölkonzerns und die fehlenden Investitionen, dass das Land wieder seine ehemalige Führungsrolle als südamerikanische Ölmacht übernehmen könnte: Drei Mio. Fass förderte der Staatskonzern vor 25 Jahren, als Präsident Hugo Chávez an die Macht kam und den Konzern für seine politischen Ziele einsetzte. Davon hat sich die Produktion bis heute nicht erholt. Etwa 700.000 bpd fördert Venezuela derzeit noch.

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Die Aussichten für Argentiniens Wirtschaft sind so gut wie seit langem nicht mehr

Das Land könnte wie kaum ein anderes weltweit von der veränderten Geopolitik und Energiewende profitieren. Aber dafür braucht es einen klaren Reformkurs.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Der Ausgang der Wahl in Argentinien ist völlig offen: Wenn Sergio Massa, der amtierende Wirtschaftsminister der linksperonistischen Regierung und der rechts-libertäre Kandidat Javier Milei am 19. November bei den Stichwahlen antreten, ist heute kaum abzuschätzen, wer das Land die nächsten vier Jahre regieren wird.

Für das Wirtschaftsmagazin Economist sind die Kandidaten, die sich beim ersten Wahlgang qualifiziert haben, die schlechtesten Alternativen für Argentinien, the worst of all possible outcomes. Denn – so der Economist – keiner der beiden Kandidaten scheint geeignet, die Probleme Argentiniens lösen zu können.

Angesichts des berechtigten Pessimismus wird leicht übersehen, dass die Aussichten für Argentiniens Wirtschaft selten so gut waren wie derzeit: Die Veränderungen in der Geopolitik, die wachsende Nachfrage nach Agrarprodukten sowie Metallen für die Energiewende, steigende Preise für Öl und Gas, über die Argentinien in großen Mengen verfügt – alles das sind Gründe, warum sich die Aussichten für Argentiniens Wirtschaft derzeit aufhellen könnten.

Im Einzelnen:

Gerade konnte das erste über 500 km lange Teilstück der Gaspipeline aus dem Öl- und Schiefergasreservoir Vaca Muerta eingeweiht werden. Argentinien ist damit auf dem Weg, ein Selbstversorger an fossilen Energien zu werden. Bei den hohen Preisen für Flüssiggas ist das wichtig für die Handelsbilanz.

Die Farmer stehen vor einer guten Ernte bei Soja, Mais und Weizen – nach der katastrophalen Dürre dieses Jahres. Für Soja erwartet die Getreidebörse von Buenos Aires ein Plus von 138 Prozent der Ernte. Bei Mais könnte es noch 62 Prozent mehr sein. Auch diese Normalisierung der Agrarexporte wird wichtig für den Dollarzufluss nach Argentinien sein.

Die Investitionen in den Bergbau halten weiter an. Vor allem Lithium und Kupferkonzessionen sind begehrt bei ausländischen Unternehmen. Konzerne aus China, Australien, Kanada und Südkorea sind die Vorreiter.

Die ausländischen Direktinvestitionen in Argentinien haben sich von 4,7 Mrd. (2020) auf 15,1 Mrd. Dollar verdreifacht – trotz der schweren Krise des Landes. Ein Fünftel der Investitionen stammt von Bergbau- und Ölkonzernen.

Zudem zählen Argentiniens Startups zu den erfolgreichsten in Lateinamerika: Online-Handelsplattformen wie MercadoLibre oder OLX sind schon länger bekannt. In Buenos Aires gibt es ein kreatives Umfeld für digitale Unternehmen. Die Gründer sind gezwungen, über den nationalen Markt hinaus zu denken.

Fazit: Die nächste Regierung bekommt aus der Wirtschaft etwas Rückenwind. Hoffentlich nutzt sie die Gelegenheit, um die notwendigen Staatsreformen umzusetzen.

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Venezuelas Ölindustrie bekommt wieder Anschluss an den Weltmarkt

Die Regierung des Landes hat der Opposition saubere Wahlen für 2024 zugesagt. Dafür wollen die USA schrittweise ihre Sanktionen lockern. Ob sich Präsident Maduro an die Abmachungen halten wird, ist ungewiss.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Endlich mal eine gute Nachricht aus Venezuela: Das Finanzministerium der USA teilt am Donnerstag mit, dass der bislang verbotene Handel mit Öl des staatlichen venezolanischen Ölkonzerns PDVSA ab sofort wieder erlaubt ist.

Ausländische Konzerne dürfen in Venezuelas Ölbranche als Zulieferer für den Staatskonzern auftreten, ohne ihrerseits Sanktionen der US-Behörden befürchten zu müssen. Auch Finanztransaktionen, etwa der Handel von venezolanischen Staatsbonds, sind erlaubt oder die Versicherung von Tankern, die venezolanisches Öl geladen haben. Auch der Handel mit venezolanischem Gold ist ab sofort zulässig.

Diese Genehmigungen sollen im ersten Schritt vorerst bis Mitte April 2024 gelten. Damit weicht die US-Administration erstmals die seit vier Jahre bestehenden Sanktionen gegen Venezuela auf. 2019 hatte der US-Präsident Donald Trump harte Sanktionen gegen Venezuela verhängt, weil das Regime von Nicolás Maduro zuvor offensichtlich die Wahlen gefälscht hatte.

Doch nun hat die Regierung in Caracas nach mehreren geheimen Verhandlungsrunden mit den USA zugesagt, im zweiten Halbjahr 2024 saubere Wahlen abhalten zu wollen. Dazu verpflichtete sie sich in einer gemeinsamen Erklärung, welche die Opposition und Regierungsvertreter am Dienstag dieser Woche in Barbados unterzeichneten.

Die Regierung will ausländische Wahlbeobachter zulassen. Ob sie die Kandidaten der Opposition tatsächlich an den Wahlen teilnehmen lässt, bleibt abzuwarten. Den wichtigsten Führern der Opposition hat die Justiz das passive Wahlrecht entzogen. Die US-Regierung hat klargemacht, dass sie bis November Fortschritte bei der Zulassung der oppositionellen Kandidaten erwarte. Die Sanktionserleichterungen können jeder Zeit wieder aufgehoben werden.

Hintergrund der Annäherung zwischen den USA und Venezuela sind die hohen Ölpreise. Die USA wollen aus strategischen Gründen, dass das Land mit den weltweit größten Öl- und Gasreserven  wieder den Weltmarkt beliefert. Das wird nur langsam möglich sein, weil in Venezuela seit vielen Jahren nicht mehr in die Ölindustrie investiert wurde. 200.000 Fass am Tag könnte Venezuela bald zusätzlich exportieren.

Das Abkommen ist für alle Seiten von Vorteil: Venezuelas Wirtschaft werden die aufgehobenen Sanktionen einen Wachstums- und Investitionsschub bringen. Erstmals können private Unternehmen wieder legal im Karibikland investieren.

Das ist auch für deutsche Unternehmen interessant, die traditionell stark in Venezuela waren, sich aber in den letzten Jahre wegen der schweren Krise des Landes zurückgezogen hatten.

Die Regierung wiederum wird Öl ohne den üblichen Abschlag verkaufen können. Bisher verlangen Kunden wie China oder Indien einen Discount auf venezolanisches Öl von bis zu 40 Prozent auf den Weltmarktpreis. Trader und Importeure lassen sich so das Risiko kompensieren, ins Fadenkreuz der US-Justiz zu gelangen.

Die Opposition schließlich hätte die Chance auf faire Wahlen, die ihr in den zehn Jahren, die Maduro nun an der Macht ist, weitgehend vorenthalten wurden. Es bleibt zu hoffen, dass die Sanktionslockerungen neben einer wirtschaftlichen auch eine politische Eigendynamik anstoßen können.

Denn bisher hat Maduro noch nie wirklich Bereitschaft gezeigt, auf die Opposition zuzugehen. Es ist schwer vorstellbar, dass der Autokrat freie Wahlen mit fairen Startchancen für alle erlaubt, wenn die Gefahr besteht, dass er abgewählt würde.

Ob das Regime bereit ist, der Opposition tatsächlich mehr Handlungsspielraum zuzugestehen, wird man am kommenden Sonntag beobachten können. Letztere hat zu landesweiten Vorwahlen aufgerufen. Die Regierung hatte zuvor das Wahlgericht durch einen taktischen Rückzug seiner Richter wegen des fehlenden Quorums ausgeschaltet.

Die Opposition steht vor der logistischen Herausforderung, in einem Land von der Größe Frankreichs und Deutschlands zusammen Vorwahlen zu organisieren, ohne öffentliche Gebäude benutzen oder sonst mit staatlicher Unterstützung rechnen zu können. Angesichts der ständigen Einschüchterungen und Drohungen durch die Sicherheitskräfte braucht es für die Teilnahme am Wahlakt eine große Portion an persönlichem Mut.

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Der Mercosur ist uneins

Einer gegen alle: Im Mercosur streiten sich die Staaten mit Argentinien wegen Wasserrechten auf dem Río Paraná. Mit den anstehenden Wahlen im Lande könnte es noch schwieriger werden, eine gemeinsame Position in Südamerika zu finden.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Ein Streit um Mautgebühren auf dem Río Paraná zeigt, wie fragil die politische und wirtschaftliche Harmonie im Mercosur ist – zu einem Zeitpunkt, an dem die südamerikanische Wirtschaftsgemeinschaft bei den Verhandlungen mit der EU eigentlich Einigkeit zeigen will.

So erhebt Argentinien seit dem 1. Januar auf alle Frachtschiffe, die den Río Paraná auf der Höhe der Flussstadt Rosário passieren, eine Frachtgebühr von 1,47 Dollar pro Tonne.

Am Anfang protestierten vor allem die Regierungen der Binnenstaaten Bolivien und Paraguay gegen die einseitig erhobene Mautgebühr auf der wichtigsten Wasserstraße im Zentrum Südamerikas. Inzwischen sind auch Brasilien und Uruguay gegen den Flusszoll.

Doch trotz des massiven Widerstandes aus den Nachbarstaaten und mehrerer Krisentreffen in Asunción und Buenos Aires ist keine Einigung in Sicht.

Als Gegenmaßnahme stoppte Paraguay jetzt die Stromlieferungen nach Argentinien über das gemeinsam am Río Paraná betriebene Wasserkraftwerk Yacyretá. Argentinien ist seitdem gezwungen, Strom teurer aus Brasilien zu importieren.

Argentinien rechtfertig die einseitig erhobene Mautgebühr mit Ausbaggerungsarbeiten, welche es durchführen würde, um den Fluss schiffbar zu erhalten. Doch die Regierung weigert sich, die Zahlen über die Investitionen transparent zu machen.

Es ist unwahrscheinlich, dass bald Bewegung in die verfahrene Situation kommt: Argentinien erlebt eine schwere Wirtschaftskrise, seine Devisenkassen sind leer – und gleichzeitig wird am 22. Oktober eine neue Regierung gewählt. Dollareinnahmen sind für die Regierung existenziell wichtig, um etwa Importe von Medikamenten oder Strom bezahlen zu können.

Argentinien hat in den kleineren Mercosur-Ländern Uruguay und Paraguay keinen guten Ruf. Seine Regierungen gelten dort traditionell als schwierige Partner.

So hat Argentinien von 2007 bis 2010 die wichtigste Brückenverbindung zu Uruguay blockieren lassen – von Umweltschutzbewegungen aus Protest gegen eine Zellulosefabrik in Uruguay.

Santiago Peña ist seit sechs Wochen als Präsident von Paraguay im Amt. Er hat bereits klargemacht, dass er sich im Mercosur nicht mit der Rolle des Juniorpartners neben den weit größeren Ökonomien Brasilien und Argentiniens abfinden wird.

Sollte bis zum 6. Dezember, wenn Paraguay die Präsidentschaft im Mercosur übernimmt, kein Abkommen mit der EU erreicht sein, würde er die Verhandlungen abbrechen und mit neuen Wirtschaftspartnern in Asien und Nahost Versuche starten.

Doch bis dahin könnte neues Konfliktpotenzial auf den Mercosur zukommen. Der favorisierte Präsidentschafts-Kandidat Javier Milei in Argentinien hält wenig vom Mercosur. Er würde lieber nach neuen Handelspartnern weltweit Ausschau halten, sagte er im Wahlkampf.

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„Das BIP Lateinamerikas ist zweimal so groß wie das von Indien…

…jedoch mit nur einem Drittel der Bevölkerung“. Der Megainvestor Marcelo Claure glaubt, dass Lateinamerika die besten Jahre seit Langem vor sich haben könnte. Vor allem die größten Ökonomien werden die Region mit sich ziehen.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Der 52-jährige Marcelo Claure aus Bolivien besitzt in Lateinamerika einen legendären Ruf als Investor. Er hat zu Beginn seiner Karriere gebrauchte Handys aus den USA in seine Heimat verkauft. Später leitete er den legendären Startup-Investmentfond Softbank: An der Seite von dessen Gründer Masayoshi Son war er jahrelang einer der mächtigsten Startup-Investoren der Welt.

Nach der Trennung letztes Jahr hat er sich wieder auf Lateinamerika konzentriert. In Harry Stebbings Podcast erklärte er kürzlich, warum er die Zukunft des Kontinents für so positiv hält. Es sind erhellende Einsichten.

Claure ist der Meinung, dass Lateinamerika gerade unterschätzt werde. „Das BIP Lateinamerikas ist zweimal so groß wie das von Indien – jedoch mit einem Drittel der Bevölkerung.“

Für ihn ist Lateinamerika als Investitionsstandort so interessant, weil dort mehr Chancen als Kapital vorhanden seien. „Überall sonst ist es umgekehrt: Es gibt mehr Kapital als Investitionsmöglichkeiten – was die Bewertungen in die Höhe treibt.“

So befänden sich ein Viertel der weltweiten Fintechs in Lateinamerika. Insbesondere Brasilien verfüge über einen hochentwickelten Finanzmarkt, der in der Lage ist, komplexe Finanzgeschäfte abzuwickeln. Der Erfolg der Online-Bank Nubank zeigt das.

Claure ist zuversichtlich für die Zukunft der beiden wichtigsten Märkte in Lateinamerika – Mexiko und Brasilien.

Dafür gibt es zwei Gründe: „Nearshoring, also die Diversifizierung der Lieferketten, und die reichen Rohstoffvorkommen der Region bilden die Basis für Lateinamerikas künftige wirtschaftliche Stabilität und Dynamik.“

Dabei profitiere Brasilien – wie auch Argentinien, Chile, Peru – von der Energiewende weltweit. Die Region ist der wichtigste Exporteur der Erze und Metalle, die man bei der E-Mobilität benötigt.

Mexiko und Mittelamerika wiederum würden vor allem vom Nearshoring profitieren und dort einen langanhaltenden Wachstumsschub auslösen. Immer mehr Konzerne verlagern ihre Produktion nach Mexiko. Damit haben sie Zugang zur großen nordamerikanischen Freihandelszone USMCA.

Was in Brasilien und Mexiko geschieht, entscheidet über das wirtschaftliche Abschneiden der gesamten Region: Zusammen vereinen die beiden Ökonomien rund zwei Drittel der Wirtschaftskraft Lateinamerikas und mehr als die Hälfte der Bevölkerung.

Verkürzt lässt sich sagen: Wenn diese Ökonomien wachsen, dann ziehen die beiden alle Staaten in der gesamten Region mit. Umgekehrt gilt das nicht.

Aber auch in chronischen Krisenstaaten wie Argentinien sieht Claure positive Anzeichen, wie die dortigen qualifizierten Arbeitskräfte und das Potenzial des Landes im Technologiesektor. Einige der erfolgreichsten ehemaligen Startups sind inzwischen Weltkonzerne, wie der Online-Händler Mercado Libre oder der Software-Entwickler Globant.

Für den Bolivianer steht Lateinamerika deswegen vor der besten Dekade seit langer Zeit. Es lässt sich hoffen, dass sein bisher bewiesener Instinkt für Investitionen auch diesmal zutrifft.

São Paulo
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“China’s loss is not Mexico’s gain”

Das Land setzt weiter auf einen Investitionsboom durch das Decoupling der USA von China. Das Potenzial ist erst teilweise ausgeschöpft.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Mexiko hat dieses Jahr als Handelspartner der USA erstmals China überholt – das erste Mal seit 2014, als China den wichtigsten Platz in der Handelsbilanz der USA einnahm. Das Volumen des Handels zwischen Mexiko und der USA ist beeindruckend: Von Januar bis April betrug der Warenaustausch 263 Mrd. Dollar. Im Vergleich: Brasilien und die USA handelten im gleichen Zeitraum mit 26 Mrd. Dollar nur zehn Prozent des Wertes miteinander.

Es sieht also alles danach aus, als würden die vor kurzem gemachten Prognosen für das Nearshoring zwischen den USA und Mexiko eintreffen: Nachdem die Regierung Donald Trump ab 2019 einen Handelskrieg mit China gestartet hatte und sich von der größten Ökonomie Asien abkoppeln zu begann, erwarteten viele Ökonomen, dass vor allem Mexiko davon profitieren würde.

US-Unternehmen würden ihre Zulieferer näher bei sich ansiedeln, um das Risiko einer Unterbrechung der Produktionsketten zu verringern. Nach Schätzungen der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) vom letzten Jahre könnte Nearshoring in Lateinamerika und der Karibik kurz- und mittelfristig zu zusätzlichen Waren- und Dienstleistungsexporten in Höhe von jährlich 78 Mrd. Dollar führen. Mexiko sollte davon den größten Anteil beisteuern.

Das ist teilweise eingetroffen. Wie die Exporte von Mexiko in die USA haben auch die ausländischen Direktinvestitionen in Mexiko zugenommen, um das Land als Zulieferer für die USA aufzurüsten.

Dennoch bleibt das Nearshoring insgesamt unter seinem Potenzial. Denn Mexikos Ausfuhren in die USA sind weniger gewachsen als aus Ländern wie Vietnam, Indien oder Taiwan. Gleichzeitig konzentrieren sich die mexikanischen Exporte neben Fahrzeugen und Teilen vor allem auf industrielle Rohstoffe und Lebensmittel.

Industrielle Produkte oder Maschinen haben weniger stark zugelegt in der mexikanischen Exportpalette in die USA. Oxford Economics bringt das auf den Punkt: “China’s loss is not Mexico’s gain”.

Dafür gibt es mehrere Gründe:

Die Regierung von Präsident Andrés Manuel López Obrador ist nicht unternehmerfreundlich. Der links-populistische Präsident blockiert Investitionen in nachhaltige Energien und auch der Staat investiert kaum in die sonstige Infrastruktur. Doch die ausländischen Unternehmen in Mexiko brauchen zunehmend Energie, die nachhaltig gewonnen wurde.

Zudem funktioniert Mexikos Industrie immer noch vorwiegend als „Maquiladora“: Unternehmen importieren Teile aus den USA, lassen sie in Mexiko montieren und exportieren die fertigen Produkte wieder in die USA. Dabei ist die lokale Wertschöpfung gering.

Sie funktioniert nur mit billigen Arbeitskräften. Doch die werden auch in Mexiko teurer. Zudem benötigen die Unternehmen immer weniger einfache Arbeitskräfte. Aber auch an Hightech-Arbeitskräften mangelt es in Mexiko.

Gleichzeitig investieren die lokalen Unternehmen und der Staat zu wenig. Die Investitionen ausländischer Unternehmen allein sind nicht ausreichend, um Mexikos Industrie insgesamt voranzubringen.

Einzelne Vorreiter wie der Autobauer Tesla, der jetzt nahe von Monterrey in ein Werk für 5 Mrd. Dollar investiert, oder auch ein Hersteller wie BMW, der Autos mit Elektroantrieb und Batterien in Mexiko produzieren will, sind wichtig, damit Mexikos starke Automobilindustrie wettbewerbsfähig bleibt.

Doch sie reichen nicht aus, dass Mexiko sowohl China als auch andere asiatische Produzenten als industriellen Hightech-Standort ersetzen kann. Oxford Economics analysiert: „Der Mangel an inländischen (öffentlichen und privaten) Investitionen hindert das Land daran, die Vorteile des Nearshoring-Trends voll auszuschöpfen.“

Train Mexico
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Gute Nachrichten vom Amazonas – doch wie reagiert jetzt die EU?

Brasiliens Amazonasrodungen sinken erstmals wieder. Gleichzeitig will Präsident Lula Südamerikas Regierungen zur Regenwaldrettung vereinen. Die Region übernimmt die Verantwortung beim Amazonasschutz.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

In den letzten Tagen gab es eine ganze Reihe an guten Nachrichten aus dem südamerikanischen Regenwald:

In Brasilien sind die Rodungen unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in den ersten sieben Monaten seiner Amtszeit um fast die Hälfte zurückgegangen. Die abgeholzte Fläche betrug rund 3000 Quadratkilometer, etwa so viel wie zuletzt 2018. Vor allem die wiederhergestellten staatlichen Kontrollen dürften zum Rückgang der Rodungen im Amazonas geführt haben.

Gleichzeitig hielt Lula einen Gipfel der Amazonasanrainerstaaten ab. Dort traf er sich mit den Vertretern der Regierungen von Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Guyana, Peru, Surinam und Venezuela, um den eingeschlafenen Amazonaspakt von 1978 wiederzubeleben.

Brasilien hat bei der Initiative automatisch die Führungsrolle. Rund 60 Prozent des Amazonas-Regenwaldes befinden sich hier, 13 Prozent in Peru, zehn Prozent in Kolumbien.

Die Verhandlungen waren nicht einfach: So konnten sich die Staaten nicht auf einen Entwaldungsstopp einigen, den Brasilien und Kolumbien bis 2030 anstreben. Das ist problematisch: Denn gerade in Staaten wie Bolivien mit weit weniger Regenwald sind die Rodungsraten in die Höhe geschossen. Das Land verbrannte im letzten Jahr fast so viel Regenwald wie das weitaus größere Brasilien.

Auch bleibt offen, ob künftig im Regenwald Öl, Gas oder Kohle gefördert werden dürfen. Fast alle Länder machen das. Doch Kolumbien – selbst ein wichtiger Kohleproduzent, aber mit versiegenden Öl-Quellen – will den Stopp aller Exploration, um nicht weiter Treibhausgas-Emissionen zu gerieren.

Einigen konnten sich die Staaten auf eine verstärkte Koordinierung gegen die zunehmende Kriminalität und das organisierte Verbrechen im Amazonasgebiet. Auch ein überregionales wissenschaftliches Panel, an dem indigene und andere traditionelle Amazonaswaldbewohner teilnehmen, wurde jetzt nach dem Vorbild des Klimarates der Vereinten Nationen gegründet. Damit soll die staatliche Regenwaldpolitik wissenschaftlich untermauert werden.

Der Gipfel ist trotz der unterschiedlichen Ansichten zum Regenwaldschutz ein politischer Erfolg für Südamerika und insbesondere Präsident Lula. Denn mit seiner Initiative könnte Südamerika weit mehr zum Regenwaldschutz beitragen, als wenn sich Brasilien oder jedes Land nur auf seinen Anteil am Amazonas konzentrieren würde.

Lula hat höherfliegende Pläne. Er will nicht nur als Sprecher Südamerikas zum Amazonas aktiv werden. Der Brasilianer will weitere Länder weltweit, die über Regenwald verfügen und ihn schützen wollen, zu einem gemeinsamen Vorgehen überzeugen.

Lula sendet damit ein starkes Signal nach Europa. Das gilt vor allem für die Verhandlungen über eine Freihandelszone zwischen der EU und dem Mercosur. Allen denjenigen, die Brasiliens Umweltpolitik bisher als ein Hindernis für ein Abkommen sehen, zeigt Lula, dass sich Südamerika in der Amazonasfrage bewegt hat. Jetzt liegt es an Europa, das anzuerkennen.

Amazonas
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Die EU und Lateinamerika nehmen wieder Kontakt auf

Der jüngste Gipfel zwischen der EU und Lateinamerika endete mit wenigen konkreten Ergebnissen. Dennoch sollte man das Gipfeltreffen nicht unterschätzen: Es diente vor allem der Bestandsaufnahme und Aktualisierung der Beziehungen nach fast acht Jahren Sprachlosigkeit.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Außer Spesen nichts gewesen – könnte man angesichts des gigantischen Events denken, welches am 17. und 18. Juli in Brüssel stattfand. Es war das dritte Gipfeltreffen der Europäischen Union und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC), das erste der EU-Mitgliedstaaten und der 33 CELAC-Staaten seit acht Jahren. Mehr als 50 Staatsoberhäupter trafen sich für zwei Tage – und herausgekommen ist konkret wenig.

Doch dafür hatten die Regierungen auf beiden Seiten des Atlantiks zu wenig vorbereitet: Vor allem auf die Verkündigung des Abkommens zwischen dem südamerikanischen Mercosur und der EU hatten viele gehofft.

Anfangs hatte der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva erklärt, dass der Vertrag zur Jahresmitte unterschriftsreif sein sollte. Doch nun ließ sich die brasilianische Regierung zwei Monate Zeit, um ein gemeinsames Verhandlungsangebot des Mercosur auf einige wichtige Änderungsvorschläge der EU auszuarbeiten. So lag auch in Brüssel kein Gebot auf dem Tisch, über das man hätte verhandeln können.

Positiv scheint jedoch, dass sowohl in der EU wie in Südamerika weiterhin Zuversicht herrscht, dass das Abkommen doch noch in diesem Jahr zustande kommt. „Ich habe selten so viel wirtschaftliches und politisches Interesse der EU an Lateinamerika gesehen“, sagte Präsident Lula.

Zwar sagte die EU 45 Mrd. Dollar an Investitionen für Lateinamerika in Infrastruktur zu. Die EU will damit in Lateinamerika ihre Global-Gateway-Strategie umsetzen – die europäischen Antwort auf die Seidenstraßen-Initiative Chinas. Auch die EU will ihren Partnern Kapital für Investitionen in Infrastruktur bieten, wie Peking das seit über einer Dekade weltweit im großen Stil macht. Doch bisher fehlten der EU die Vorzeigeprojekte – vor allem in Lateinamerika.

Einen Erfolg konnte in diesem Zusammenhang der chilenische Präsident Gabriel Boric verzeichnen: Das Andenland unterzeichnete mit der EU jetzt eine Absichtserklärung für eine künftige enge Partnerschaft bei nachhaltigen Rohstoff-Wertschöpfungsketten.

Für Europa ist das von großer Bedeutung: Chile ist weltweit führender Produzent der für die Energiewende wichtigen Rohstoffe Lithium und Kupfer – und könnte bald schon Lieferant für grünen Wasserstoff werden.

Aber auch Chile könnte von dem Abkommen profitieren: Die EU will nicht nur die nachhaltige Produktion der Rohstoffe unterstützten und sie von dort beziehen. Europäische Unternehmen werden im Andenland investieren, um dort den Wertschöpfungsanteil in der Verarbeitungskette in Südamerika zu erhöhen. Künftig könnte Chile damit nicht nur Lithium liefern, sondern womöglich auch Batterien für E-Autos herstellen.

Der Gipfel zeigte aber auch, wie schwer es ist, in den Regionen selbst einen Konsens herzustellen. So wollten sich die Staaten Lateinamerikas nach anfänglichem Zögern darauf einigen, Russland als Aggressor der Ukraine zu kritisieren. Doch vor allem Nicaragua – ein Verbündeter Russlands in Mittelamerika – sträubte sich dagegen, zum Ärger vieler Staatschefs.

Fazit: Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen, ob die Kontaktaufnahme zwischen Europa und Lateinamerika in Brüssel zu einer intensiveren Zusammenarbeit führen wird. Die Verbindungen zwischen den Regionen sind jetzt einer Bestandsaufnahme unterzogen und aktualisiert worden. Viel mehr war nach acht Jahren Sprachlosigkeit kaum zu erwarten.

Chile Atacama Wüste
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