Mexiko vor ungewisser Zukunft mit Claudia Sheinbaum

Die künftige Präsidentin Mexikos mit ihrer Partei wird mehr Macht haben als die meisten Präsidenten vor ihr. Auf diese Machtfülle reagieren die Finanzmärkte nervös. Deutsche Firmen setzen weiter auf das Land.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Die Wahlen in Mexiko waren das mit Abstand wichtigste politische Ereignis in Lateinamerika in diesem Jahr – das gilt auch für die deutsche Wirtschaft. Zum einen geht es um die nach Brasilien größte Volkswirtschaft der Region, mit der der Handel – anders als mit den meisten Staaten Lateinamerikas – jährlich stark wächst.

Zum anderen ist Mexiko in den letzten Jahren für deutsche Unternehmen zu einem immer wichtigeren Standort in Lateinamerika geworden. Der Grund: Durch die Einbindung in das Freihandelsabkommen USMCA mit den USA und Kanada haben Unternehmen von Mexiko aus Zugang zum größten Binnenmarkt der Welt. Der Außenhandel zwischen Mexiko und den USA ist mit über 800 Mrd. US-Dollar der größte der Welt. Mexiko hat China als wichtigsten Lieferanten für den US-Markt überholt.

Nach Umfragen der Deutsch-Mexikanischen Außenhandelskammer beurteilen mehr als die Hälfte der Mitgliedsunternehmen ihre wirtschaftliche Lage als gut. Drei Viertel wollen ihre Investitionen in den nächsten zwölf Monaten erhöhen oder auf gleichem Niveau halten.

Umso entscheidender ist es, wie sich Mexiko in den kommenden sechs Jahren unter Sheinbaum entwickeln wird. Doch Prognosen sind schwierig.

Zum einen ist die Physikerin Sheinbaum bisher kaum mit eigenen Ideen in Erscheinung getreten. Immer wieder betont sie, die Politik ihres Vorgängers und politischen Ziehvaters Andrés Manuel López Obrador (AMLO) fortsetzen zu wollen. Dies hat zum einen wahltaktische Gründe: Der amtierende Präsident Amlo ist auch wenige Monate vor dem Ende seiner Regierungszeit enorm erfolgreich. Mehr als die Hälfte der mexikanischen Wählerschaft steht hinter dem Linkspopulisten.

Das erklärt auch, warum sich seine linksnationalistische „Nationale Erneuerungsbewegung“ (Morena) sowohl mit ihrer Kandidatin Sheinbaum durchsetzen als auch bei den parallel stattfindenden Parlamentswahlen einen überwältigenden Sieg erringen konnte.

Zusammen mit ihren Bündnispartnern verfügt die Partei künftig über Zweidrittelmehrheiten im Kongress, die es der Regierungspartei erlauben, Verfassungsänderungen praktisch im Alleingang und ohne Konsens mit anderen politischen Kräften vorzunehmen. Dazu kontrolliert Morena künftig 24 der 31 Bundesstaaten. Eine solche Machtkonzentration hatte über viele Jahrzehnte nur die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI). Es scheint, als würde Morena das Erbe der PRI antreten.

Denn mit dem Wahlergebnis hat Sheinbaum nun freie Hand zu regieren. Die Frage ist, ob sie dem Kurs ihres Vorgängers López Obrador folgen wird.

Denn der hat sich in seinen sechs Jahren an der Macht als Linkspopulist erwiesen, der sich wenig um demokratische Kontrollen und die Justiz schert, solange er davon überzeugt ist, dass seine Politik dem Volk (und seiner Popularität) nützt. Bislang konnten Justiz, Kongress und Medien ihn in seinem Streben nach exekutiver Machtkonzentration immer wieder bremsen. Doch damit ist es nun vorbei.

So versuchte Amlo, zahlreiche unabhängige Institutionen zu entmachten. Er strebte eine Justizreform an, die ein Plebiszit über die Besetzung der obersten Richter vorsah. Er versuchte, den Einfluss des Wahlgerichts einzuschränken. Sheinbaum und die Morena-Partei hätten nun freie Bahn, diese Reformen umzusetzen.

Entsprechend negativ reagierten die Finanzmärkte auf den Wahlausgang: Der Dollar legte gegenüber dem Peso zeitweise um 7 Prozent zu. Die Börse brach ein, erholte sich aber wieder. Das Länderrisiko Mexikos, gemessen an den Zinsaufschlägen, die Anleiheinvestoren verlangen, ist deutlich gestiegen.

Investoren befürchten, dass die Morena-Partei die staatliche Kontrolle über die Wirtschaft ausweiten und das Haushaltsdefizit durch eine ungebremste staatliche Ausgabenpolitik erhöhen könnte. Schon Lopez Obrador wollte die Wirtschaft zunehmend staatlich lenken: Mit staatlichen Milliardenprojekten in der Infrastruktur und im Energiesektor setzte er durch, dass private Investoren das Nachsehen hatten. Das Militär ist unter ihm zu einem wichtigen Akteur in der Wirtschaft geworden.

Europäische Investoren stört zudem, dass López Obrador die zuvor mühsam ausgehandelte Wende hin zu einer emissionsfreien Stromerzeugung komplett rückgängig gemacht hat. Amlo setzte in seiner Energiepolitik vor allem auf Kohle und Öl.

Das ist auch einer der Gründe, warum das bereits abgeschlossene Abkommen zwischen der EU und Mexiko in Europa nicht ratifiziert wird. Von Sheinbaum erhoffen sich vor allem ausländische Unternehmen eine Revision der wenig klimafreundlichen Wirtschafts- und Standortpolitik Amlos. Sheinbaum hat als Wissenschaftlerin in Mexiko und den USA zur Klimapolitik geforscht. Sie gilt als renommierte Umweltexpertin.

Mit Sheinbaum könnte Mexiko auch wieder eine größere Rolle in der Welt spielen. Amlo hatte sich außer für die Beziehungen zu den USA nicht für Außenpolitik interessiert. Während seiner Amtszeit trat Mexiko in internationalen Gremien kaum in Erscheinung, obwohl Mexikos wirtschaftliches und politisches Gewicht in der Welt zugenommen hat. Mit 130 Millionen Einwohnern ist Mexiko heute die 14. größte Volkswirtschaft der Welt, noch vor Spanien.

Die entscheidende Auseinandersetzung im Außenhandel und als Standort dürfte Mexiko mit den USA bevorstehen: Dort stören sich Verbände und Regierung daran, dass vor allem chinesische Konzerne versuchen, die zunehmende Abschottungspolitik der USA gegenüber Peking durch ihre Produktion in Mexiko zu umgehen. In zwei Jahren soll das USMCA-Abkommen einer gemeinsamen Überprüfung unterzogen werden. Auch europäische Unternehmen werden das Ergebnis der Neuverhandlungen genau beobachten.

In ihrer ersten Rede als gewählte Präsidentin setzte Sheinbaum deutliche wirtschaftliche Akzente. Sie verteidigte die Autonomie der Zentralbank und die Haushaltsdisziplin. Sie wolle Investitionen in erneuerbare Energien fördern. All dies wäre eine Abkehr von der Politik Amlos.

In Lateinamerika gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie gewählte Präsidenten schnell aus dem Schatten ihrer politisch gleichgesinnten Vorgänger traten und deren Politik ganz anders fortsetzten als erwartet.

Mexiko Stadt
© Unsplash/Luis Dominguez

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