CEO Agenda für die Zusammenarbeit mit Lateinamerika und der Karibik

Der LADW hat eine CEO Agenda erarbeitet, um die wirtschaftlichen Potenziale Lateinamerikas aufzuzeigen, erforderliche Strategien und Ansätze für die Diversifizierung deutscher Unternehmen zu liefern und den Ausbau der Zusammenarbeit mit Lateinamerika voranzutreiben. Grundlage für die Entwicklung der Agenda ist die Perspektive der CEOs und Vorstände namhafter Firmen, die im LADW versammelt sind. Sie verbindet Informationen aus diversen Interviews und Expertengesprächen mit einer fundierten Analyse der Region.

 

 

Resümee

 

Kontext

 

    • Aufgrund der veränderten geopolitischen Lage hat die Zusammenarbeit mit Lateinamerika neuen Schwung bekommen. Motiviert durch den Regierungswechsel in Brasilien im Januar 2023 ist die Reisetätigkeit und das Bemühen der Bundesregierung um die Region intensiver als je zuvor.
    • Doch die mangelnde Aufmerksamkeit der letzten Jahre hat Folgen. Deutschland und die EU haben in der Region an Bedeutung verloren. Lateinamerika wird mehr und mehr als attraktive Region geschätzt und erhält Angebote für Investitionen aus der ganzen Welt – von den USA, aus dem Nahen Osten, Russland und Asien. Von Deutschland werden daher auch konkrete Kooperationsangebote und Projekte erwartet.
    • Die deutsche Wirtschaft ist intensiv mit der Rezession im eigenen Land beschäftigt, durchläuft einen kostspieligen Transformationsprozess, um die Klimaziele zu erreichen, und ist gleichzeitig gezwungen, sich stärker zu diversifizieren. All das bindet Ressourcen und könnte, besonders im industriellen Mittelstand, zusätzliche Investitionskapazitäten in neuen Märkten verknappen.

 

Die wichtigsten Erkenntnisse

 

1 Potenzial Lateinamerikas

 

Lateinamerika kommt bei der Stärkung der Krisenfestigkeit der deutschen Wirtschaft eine Schlüsselrolle zu.

Lateinamerika kann als Wachstumsmarkt mit China und Indien Schritt halten – mit jährlichen Wachstumsraten von bis zu 6 % ab 2027 – wenn es auf Zukunftsbranchen mit nachhaltigen Technologien setzt und den internationalen Handel intensiviert (z. B. durch Handelsabkommen mit der EU). Bereits heute ermöglicht die Region höhere Margen für Unternehmen als asiatische Märkte wie China und Malaysia.

    • Zukunftsbranchen haben ein großes Potenzial für Lateinamerika aufgrund der guten natürlichen Voraussetzungen der Region für nachhaltige Technologien. In der Vergangenheit wuchs z. B. der Windenergiemarkt in Brasilien durchschnittlich um mehr als 30 % pro Jahr, was einen potenziellen Einfluss auf das BIP von bis zu 1 % bedeutet.
    • Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Handelsabkommen, wie z. B. bilaterale oder das Mercosur-Abkommen, könnten ein zusätzliches BIPWachstum von bis zu 2 % generieren.
    • Um einen Rückgang des BIP-Wachstums um bis zu 21 % bis 2030 zu verhindern, benötigen die Länder Lateinamerikas dringend eine Produktivitätssteigerung. Der Einfluss der Produktivität auf das BIP-Wachstum in Lateinamerika fällt heute am geringsten aus. Lateinamerika kommt bei der Stärkung der Krisenfestigkeit der deutschen Wirtschaft eine Schlüsselrolle zu.

 

Die Region ist heute einer der vielversprechendsten und wettbewerbsfähigsten Märkte für die Produktion von erneuerbaren Energien im weltweiten Vergleich. Dazu kommen die immensen Reserven an wichtigen Rohstoffen, die für eine grüne Transformation der Industrie entscheidend sind. Südamerika kann sich zu einer der größten Exportplattformen für grünen Wasserstoff und andere Formen exportierbarer erneuerbarer Energien entwickeln.

    • Obwohl Lateinamerika bereits einen sehr hohen Anteil an erneuerbaren Energien in seinem Strommix aufweist, ist die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen in der Region noch ausbaufähig und dürfte weiter zunehmen.
    • Es wird erwartet, dass der globale Wasserstoffmarkt jährlich um ca. 40 % wächst – Chile und Brasilien gehören zu den weltweit führenden Standorten, die im Jahr 2030 grünen Wasserstoff für weniger als 1,50 USD pro kg H2 produzieren könnten. In Lateinamerika sind bereits 12 Projekte zur Wasserstoffproduktion in Betrieb und etwa 70 in der Entwicklung, weltweit sind mehr als 500 Projekte im industriellen Maßstab geplant.
    • Lateinamerika verfügt über ca. 60 % der weltweiten Lithiumreserven, d. h. 11-mal mehr als Europa. Dabei wird schon 2024 die Lithiumnachfrage das Angebot übersteigen und sich das Verhältnis von etwa 30 % Überschuss im Jahr 2021 auf ca. 20 % Knappheit im Jahr 2025 umkehren. Auch ca. 18 % der Reserven an seltenen Erden befinden sich in Brasilien, das sind die zweitgrößten Reserven der Welt und 18-mal mehr als in Europa.
    • Bei zusätzlichen Kapazitäten für Wind- und Solarprojekte sind Chile und Brasilien international führend.

 

Lateinamerika hat beste Voraussetzungen, ein strategischer Markt für die Gewinnung von Fachkräften für deutsche Unternehmen zu werden, insbesondere in technischen Berufen. Zudem gehören die Arbeitskosten dort zu den wettbewerbsfähigsten der Welt.

    • Ingenieurwesen, IT und Naturwissenschaften machen mehr als 20 Prozent der Hochschulabschlüsse in Brasilien, Chile, Mexiko und Kolumbien aus. In Deutschland gibt es bereits seit 2018 ca. 700.000 offene Stellen in Tech-Jobs und die Lücke wird bis 2026 voraussichtlich auf etwa 780.000 anwachsen.
    • Ein weiterer Talentpool für deutsche Unternehmen in Lateinamerika sind Schulabgänger, die keine Hochschulausbildung beginnen – in Brasilien waren das 2021 31 Mio. junge Erwachsene. Sie sind mögliche Kandidaten für neue Bildungsangebote, wie z. B. Programmierschulen, die deutsche Firmen „maßgeschneidert“ im Land starten könnten.
    • Hinzu kommen in Brasilien jährlich ca. 500.000 Hochschulabsolventen im Bereich Technik und ca. 900.000 im Bereich Wirtschaft mit einer derzeit niedrigen Beschäftigungsquote von ca. 83 % für 25- bis 64-Jährige mit Hochschulabschluss (ca. 60 % insgesamt). Das führt zu zusätzlichem Potenzial für die Gewinnung von Fachkräften für deutsche Unternehmen.
    • Tech-Hubs als Standorte mit IT-Spezialisten und Gründern, wie São Paulo, Bogotá oder Mexiko-Stadt als Teil des technologischen Wachstums in der Software- und Hardware-Industrie können zudem Ansatzpunkte bieten, um vom Talentpool in Lateinamerika zu profitieren.

 

2 Deutsches Engagement in der Region

 

Noch ist Deutschland in Lateinamerika gut positioniert. Aber die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit stagniert und Marktanteile wurden sukzessive verloren.

    • Mit nur rund 50 Mrd. USD an Investitionen in Lateinamerika gehört Deutschland im OECD-Vergleich zu den Schlusslichtern (Investitionsbestand der OECD-Länder im Durchschnitt: 80 Mrd. USD).
    • Auch die deutschen Exporte in die Region sind in den letzten 10 Jahren kaum gewachsen: Während die USA und China ihre Exporte in diesem Zeitraum um 38 % (2022: 547 Mrd. USD) und sogar 87 % (2022: 252 Mrd. USD) erhöht haben, wuchsen deutsche Ausfuhren um lediglich 3 % (2022: 44 Mrd. USD).
    • Chinas Rolle als Technologiepartner auf den dortigen Märkten darf nicht unterschätzt werden. Bei chinesischen Investitionen kann man zum einen eine Verlagerung von Investitionen von staatlichen Banken auf Geschäftsbanken ablesen, zum anderen betrifft die Mehrheit der Transaktionen fortgeschrittene Technologien, wie Kommunikation, Automobil und die Produktion elektronischer Komponenten.

 

3 Fazit: Strategien zum Ausbau der Zusammenarbeit

 

Es braucht neue Ansätze von Politik und Wirtschaft, damit das Engagement Deutschlands in Lateinamerika über den Status quo hinaus ausgebaut werden kann. Nur so wird es möglich, Chancen durch die wirtschaftliche Neuordnung des globalen Ökosystems rechtzeitig zu ergreifen.

    • Die wirtschaftliche Neuordnung des globalen Ökosystems könnte erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung Lateinamerikas haben. Um nicht noch mehr an Bedeutung für die Region einzubüßen, müssen Deutschland und die EU in dieser Phase stärker präsent sein (z. B. werden jetzt langfristige Rohstoffverträge vergeben).
    • Deutsche Unternehmen sind gut beraten, den Stellenwert Lateinamerikas für ihre globale Diversifizierungsstrategie auf den Prüfstand zu stellen und langfristige Entscheidungen zum Engagement in der Region zu treffen.
    • Fünf Strategien können Unternehmen dabei helfen, ihre Präsenz auf den Märkten Lateinamerikas zu erhöhen:

1) Import kritischer/nachhaltiger Ressourcen wie Lithium, seltene Erden und Energie aus erneuerbaren Quellen, z. B. über grünen Wasserstoff.

2) Produktion in der Region für den Export.

3) Ausstattung lokaler Unternehmen mit Technologien, die die Produktivität erhöhen, z. B. IoT-Technologie, Maschinen und digitale Werkzeuge.

4) Stärkung und Ausrichtung des Angebots auf die wachsende Mittelschicht Lateinamerikas und ihre Bedürfnisse in bestimmten Bereichen, z. B. Mobilität und Gesundheitswesen.

5) Nutzung des großen Talentpools an hochqualifizierten Fachkräften in Lateinamerika durch gezielte Ausbildungsangebote und Maßnahmen, da die Region kulturell gut mit den USA und Europa kompatibel ist.

    • Die CEO Agenda empfiehlt entsprechend der fünf Strategien vier mögliche Hebel, die von Aktionen einzelner Unternehmen, über Bündnisse und Kooperationen mehrerer Unternehmen bis hin zu nötigen Maßnahmen der Politik reichen.
    • Darüber hinaus werden 9 konkrete Initiativen vorgeschlagen, um dem Engagement in der Region mehr Schwung zu verleihen, z. B. eine Allianz interessierter Unternehmen zur Beschaffung/Entwicklung grüner Wasserstoffprojekte in Brasilien oder ein gemeinsamer Talentpool als Teil eines digitalen Produktionsökosystems sowie die Gründung von Programmierschulen in Lateinamerika.

Frischer Wind für bewährtes Dialogformat

Im Rahmen der Deutsch-Brasilianischen Regierungskonsultationen am 4. Dezember wurde in Beisein von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und seinem brasilianischen Amtskollegen Carlos Fávaro ein Addendum zur Gründungsakte der bilateralen Arbeitsinitiative für Zusammenarbeit in Agribusiness und Innovation (AI) unterzeichnet. Darin kommen beide Seiten überein, die AI als Austauschplattform zu stärken, neue Partner einzubinden und sie thematisch weiterzuentwickeln.

So soll der Dialog über innovative Ansätze zur Steigerung der Nachhaltigkeit noch weiter vertieft und weitere Akteure aus der gesamten Wertschöpfungskette eingebunden werden.

Die AI wurde bereits 2003 gegründet und erhält ihr Mandat für jeweils drei Jahre von der Deutsch-Brasilianischen Gemischten Wirtschaftskommission. Für die Seite der deutschen Wirtschaft – die von LADW und BDI koordiniert wird – steht ihr Jordi Tormo vor, Vice President Business Management Industrial Formulators Europe der BASF SE. Sein brasilianisches Pendant ist Ingo Plöger, Vizepräsident des nationalen Verbandes der Agrarwirtschaft Brasiliens (ABAG). Den Vorsitz für die Seite der Politik haben Vertreter der jeweiligen Ministerien inne, des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und des brasilianischen Landwirtschaftsministerium (MAPA). Die AI tagt mindestens einmal im Jahr im Kontext der Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstage.

Unterzeichnungszeremonie Addendum
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, sein brasilianischer Amtskollege Carlos Fávaro, Ingo Plöger, ABAG-Vizepräsident, und Rafael Haddad, LADW-Geschäftsführer © BMEL
Begruessung
© BMEL

Neues Kapitel in der Zusammenarbeit mit Brasilien aufgeschlagen

Nach acht Jahren trafen am 4. Dezember die brasilianische und die deutsche Regierung erstmals wieder für Konsultationen im Rahmen der strategischen Partnerschaft beider Länder zusammen. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ist dafür mit acht Ministerinnen und Ministern sowie zwei Vize-Ministern und einer Delegation von hochrangigen Wirtschaftsvertretern nach Berlin gereist.

Viele der brasilianischen Minister kamen am Vormittag mit ihren deutschen Amtskolleginnen und -kollegen zu bilateralen Gesprächen zusammen. Daran schloss sich eine gemeinsame Kabinettssitzung im Kanzleramt sowie eine Pressekonferenz mit dem brasilianischen Präsidenten und Bundeskanzler Olaf Scholz an.

Beide Länder vereinbarten eine umfassende „Partnerschaft für eine sozial gerechte und ökologische Transformation“ zwischen Brasilien und Deutschland. Hier stehen unter anderem neue Projekte zu Energiewende, Dekarbonisierung der Industrie und Fachkräften im Fokus. Insgesamt wurden ca. 20 Vereinbarungen und Absichtserklärungen unterzeichnet. Die Fortschritte in der Partnerschaft sollen durch jährliche Gespräche auf ministerieller Ebene begleitet und die Regierungskonsultationen von nun an alle zwei Jahren abgehalten werden. Das vollständige Kommuniqué ist hier nachzulesen.

Ein Deutsch-Brasilianisches Wirtschaftsforum am Nachmittag mit knapp 300 Vertreterinnen und Vertretern von Politik und Wirtschaft beider Länder war Teil der Regierungskonsultationen. Bundeskanzler Scholz und Präsident Lula sprachen sich auf der Veranstaltung im Haus der Deutschen Wirtschaft für eine Erneuerung der Zusammenarbeit aus. Prominent dabei waren ebenfalls Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck und von brasilianischer Seite Finanzminister Fernando Haddad, Umweltministerin Marina Silva sowie der Chef des Präsidialamtes Minister Rui Costa.

Stark war auch das Bekenntnis zum EU-Mercosur-Abkommen während der Konsultationen. Vor allem der Bundeskanzler sorgte für Optimismus: Er sei davon überzeugt, dass sich eine Mehrheit sowohl im Europäischen Rat als auch im EU-Parlament für das Abkommen finden werde, wenn es erfolgreich zu Ende verhandelt wurde. Auch Präsident Lula lässt sich von Hindernissen auf den letzten Metern nicht beirren.

Leider brachten die Konsultationen keine Fortschritte beim seit 2006 fehlende Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung. Diese Hausaufgabe bleibt also ganz oben auf der Agenda der Deutsch-Brasilianischen Zusammenarbeit im kommenden Jahr.

Bundeskanzler Scholz und Präsident Lula
Bundeskanzler Scholz und Präsident Lula © DIHK/Jens Schicke
LADW-Vorsitzender Gunnar Kilian
LADW-Vorsitzender Gunnar Kilian © LADW
BDI-Präsident Siegfried Russwurm
BDI-Präsident Siegfried Russwurm © LADW
Wolfgang Niedermark (BDI) und Ricardo Alban (CNI)
Wolfgang Niedermark (BDI), Ricardo Alban (CNI) © LADW
Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck
Dr. Volker Treier (DIHK), Prof. Dr.-Ing. Siegfried Russwurm (BDI), Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck, Gunnar Kilian (LADW/Volkswagen), Dr. Oliver Blume (Volkswagen AG) © LADW
Politik im Gespräch mit der Wirtschaft
Politik im Gespräch mit der Wirtschaft © DIHK/Jens Schicke
Präsident Lulas Rede auf dem Wirtschaftsforum
Präsident Lulas Rede auf dem Wirtschaftsforum © DIHK/Jens Schicke
Finanzminister Fernando Haddad
Finanzminister Fernando Haddad © LADW
Umweltministerin Marina Silva und Landwirtschaftsminister Carlos Fávaro
Umweltministerin Marina Silva und Landwirtschaftsminister Carlos Fávaro © LADW

Zeit für Neuansatz in der Zusammenarbeit mit Lateinamerika

LADW präsentiert neue CEO Agenda anlässlich der Regierungskonsultationen mit Brasilien

Wachstumspotenzial der Region Lateinamerika kann Krisenfestigkeit der deutschen Wirtschaft stärken

Große Chancen für Kooperationen bei erneuerbaren Energien, Rohstoffen, Digitalisierung und Fachkräften

 

Der LADW hat anlässlich der Regierungskonsultationen mit Brasilien am 4. Dezember 2023, zu denen der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva mit zahlreichen Kabinettsmitgliedern in Berlin sein wird, seine neue CEO Agenda für die Zusammenarbeit mit der Region präsentiert. Ziel der CEO Agenda ist es, wirtschaftliche Potenziale der Region Lateinamerika aufzuzeigen, erforderliche Strategien und Ansätze für die Diversifizierung deutscher Unternehmen zu liefern und den Ausbau der Zusammenarbeit mit Lateinamerika voranzutreiben.

 

„Die Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien, aber auch den anderen Staaten Lateinamerikas, sind historisch eng und vertrauensvoll. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit hat traditionell eine wichtige Rolle gespielt. Daran wollen wir beim Besuch von Präsident Lula anknüpfen“, sagte Gunnar Kilian, LADW-Vorsitzender. Es brauche jetzt neue Ansätze von Politik und Wirtschaft, damit Deutschland und die Europäische Union nicht den Anschluss verlieren. „Die Regierungskonsultationen mit der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas sollten genutzt werden, um die Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien, Rohstoffen, Digitalisierung und Fachkräftemangel langfristig und strategisch aufzustellen“, forderte der LADW-Vorsitzende.

 

Trotz intensiver Reisetätigkeit und einem zuletzt gesteigerten Bemühen der Bundesregierung um die Region sieht der LADW die Potenziale der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gefährdet: Die Zusammenarbeit mit Lateinamerika stagnierte lange Zeit, Marktanteile gingen sukzessive verloren. Die deutschen Exporte in die Region sind in den vergangenen zehn Jahren kaum gewachsen. Während die USA und China ihre Exporte in diesem Zeitraum um 38 Prozent (2022: 547 Milliarden US-Dollar) und sogar 87 Prozent (2022: 252 Milliarden US-Dollar) erhöht haben, wuchsen deutsche Ausfuhren um lediglich drei Prozent (2022: 44 Milliarden US-Dollar). „Es ist bedauerlich, dass es bisher nicht gelungen ist, das Mercosur-Abkommen abzuschließen. Ein Scheitern der Verhandlungen wäre unverantwortlich. EU-Kommission und Bundesregierung sollten nichts unversucht lassen, die Mercosur-Verhandlungen erfolgreich abzuschließen. Das wäre ein starkes Signal für einen fairen und freien Handel zwischen Europa und Lateinamerika“, betonte Kilian.

Im internationalen Vergleich ist Lateinamerika laut CEO Agenda einer der vielversprechendsten Märkte für erneuerbare Energien. Brasilien gehört zu den führenden Nationen, wo es möglich wäre, bis 2030 grünen Wasserstoff für weniger als 1,50 US-Dollar pro Kilogramm zu produzieren. Dazu kommen die immensen Ressourcen des Landes an wichtigen Rohstoffen wie beispielsweise die weltweit zweitgrößten Reserven an seltenen Erden. Auch für die Gewinnung von Fachkräften für deutsche Unternehmen kann die Region entscheidend sein, insbesondere in technischen Berufen. Ingenieurwesen, IT und Naturwissenschaften machen mehr als 20 Prozent der Hochschulabschlüsse in Brasilien, Chile, Mexiko und Kolumbien aus.

Für eine erfolgreiche Neuaufstellung des Engagements in der Region entwirft die CEO Agenda Strategien und konkrete Initiativen, wie zum Beispiel eine Allianz interessierter Unternehmen zur Entwicklung von Projekten im Bereich Energie und Rohstoffe, die Schaffung eines gemeinsamen Talentpools als Teil eines digitalen Produktionsökosystems oder die Gründung von Programmierschulen.

Petro strebt strategische Allianz für saubere Energie mit Deutschland an

Der erste linke Präsident Kolumbiens Gustavo Petro setzt bei seinem Staatsbesuch in Deutschland auf eine Stärkung der Zusammenarbeit für die Produktion von Erneuerbaren Energien in der viergrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas. Begleitet wurde Petro von Außenminister Álvaro Leyva Durán, Wirtschaftsminister Germán Umaña und Energieministerin Irene Vélez.

Im Gespräch mit deutschen CEOs und Vorständen während eines Mittagessens von BDI und LADW plädiert Petro für eine bilaterale Allianz, um vor allem Großprojekte für die Produktion und den Export von grünem Wasserstoff in Kolumbien voranzutreiben. Die Nachfrage nach Innovationen, die sich auf die Nachhaltigkeit auswirken, sei enorm, und Südamerika verfüge über eine unvergleichliche Kapazität zur Erzeugung sauberer Energie.

Vertreterinnen und Vertreter der Unternehmen haben aber deutlich gemacht, dass wirtschaftsfreundlichere Rahmenbedingungen für langfristige Investitionen unabdingbar sind. Dazu gehört u. a. eine verlässliche Infrastruktur für Verteilung und Transport von Erneuerbaren Energien, Rechtssicherheit für die oft langjährigen Verträgen sowie politische Stabilität für die Umsetzung von Großprojekten.

Kolumbien wünscht sich mehr Nachhaltigkeit auch in den Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern. Kohle gehört zu den meistexportierten Produkten nach Deutschland – mit steigender Tendenz durch die Ukraine-Krise. Deutschland ist größter Handelspartner Kolumbiens innerhalb der EU, zwischen beiden Ländern erreicht das Handelsvolum mehr als 2,5 Milliarden Euro.

Petro appelliert an Wirtschaft und Politik in Deutschland, dass der politische Diskurs nun gemeinsam in die Praxis umgesetzt wird.

Gustavo Petro, Präsident Kolumbiens
Präsident Petro, Außenminister Leyva, Botschafterin Salazar-Mejía, Energieministerin Vélez, Vorstandsvorsitzender von Ecopetrol Roa, Geschäftsführer von ProColombia Germany Bautista und Beraterin des Außenministers Ramirez
Petro and representatives of German industry
Holger Lösch (BDI), Nico Warbanoff (DB E.C.O. Group), Anne-Laure Parrical de Chammard (Siemens Energy AG), Präsident Gustavo Petro, Wolfgang Niedermark (BDI), Micheal Lewis (Uniper SE), Katherina Reiche (Westenergie AG)
Außenminister Leyva, Botschafterin Salazar-Mejía und LADW-Geschäftsführer Haddad
Außenminister Leyva, Botschafterin Salazar-Mejía und LADW-Geschäftsführer Haddad
Präsident Gustavo Petro, José Blanco und Katherina Reiche
Präsident Gustavo Petro, José Blanco (Nordex) und Katherina Reiche (Westenergie AG)
Wirtschaftsminister Germán Umaña, Marika Lulay und Victor Bautista
Wirtschaftsminister Germán Umaña, Marika Lulay (GFT Technologies SE) und Victor Bautista (ProColombia Germany)

Chancen für deutsche Unternehmen in Kolumbien

Kolumbien sieht in Deutschland einen verlässlichen Partner für die angestrebte Transformation der Wirtschaft mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit und Soziales. Dies betonte der kolumbianische Wirtschaftsminister German Umaña während seines Besuchs in Berlin diese Woche bei bilateralen Gesprächen mit Mitgliedern des LADW, darunter auch mit Gunnar Kilian, LADW-Vorsitzender und Konzernvorstand von Volkswagen Group.

Als viertgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas zählt Kolumbien zu den dynamischsten Staaten in der Region. Und die Position des Landes als ein Schlüsselmarkt in Südamerika für deutsche Unternehmen kann und soll ausgebaut werden. Besonders bei Dekarbonisierung und Digitalisierung haben Kolumbien und Deutschland großes Potenzial für eine noch engere Kooperation – auch was die Gewinnung von erneuerbaren Energien angeht.

Umso wichtiger ist es, dass nun ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und Kolumbien ausgehandelt werden kann. Dies würde der wirtschaftlichen Zusammenarbeit einen entscheidenden Impuls geben. In der gegenwärtigen Situation wäre den Unternehmen in beiden Ländern jede Erleichterung für Handel und Investitionen sehr willkommen.

Gunnar Kilian im Gespräch mit Minister Umana
Gunnar Kilian im Gespräch mit Minister Umaña und Botschafterin Salazar-Mejía © PROCOLOMBIA

Lateinamerikas Bedeutung für die deutsche Wirtschaft wächst

„Lateinamerika ist und bleibt ein wesentlicher Baustein in der Diversifizierungsstrategie Deutschlands. Und diese wollen wir ausbauen und auch Handelsabkommen – wie Mercosur – weiter vorantreiben“, betonte LADW-Vorsitzender Gunnar Kilian gestern bei der jährlichen Mitgliedersitzung des LADW, für die Führungsspitzen der Wirtschaft in Berlin zusammenkamen. Auch vor diesem Hintergrund sei die Stärkung der Zusammenarbeit mit der Region essenziell.

Beim anschließenden Kaminabend wurde der Austausch mit den Botschafterinnen und Botschaftern der Region sowie hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern von Bundesregierung und Bundestag fortgesetzt.

Im Gespräch mit der Gastrednerin des Abends, der Staatsministerin beim Bundeskanzler Sarah Ryglewski, wird deutlich, dass die Region auch für die deutsche Politik zur Chefsache geworden ist. Durch die Reiseoffensive von Regierungsmitgliedern ist Deutschland in Lateinamerika politisch so präsent wie nie zuvor. Das schafft eine wertvolle wirtschaftspolitische Basis für mehr wirtschaftliches Engagement.

Lateinamerika ist – trotz aller aktuellen Herausforderungen – ein attraktiver Markt und Wirtschaftsstandort für deutsche Unternehmen. Mehr als 650 Millionen Menschen leben in dieser Region – auf rund 20 Millionen Quadratkilometern. Und sie zählt zu den wichtigsten globalen Rohstofflieferanten für die Industrie. Rund 50 Prozent der weltweiten Lithium-, Silber- und Goldvorkommen liegen hier.

Das Lateinamerika-Momentum muss nun genutzt werden, um komplexe Themen wie das EU-Mercosur-Abkommen aber auch konkrete Projekte zum Beispiel im Bereich Digitalisierung oder Dekarbonisierung voranzubringen, die das Wachstum und Investitionen in dieser Region ankurbeln.

LADW-Vorsitzender_Gunnar_Kilian
LADW-Vorsitzender Gunnar Kilian, Sabine Bendiek, Mitglied des Vorstands SAP, und LADW-Geschäftsführer Rafael Haddad
LADW-Mitgliedersitzung
Tim Holt, Mitglied des Vorstands Siemens Energy, Rolf Habben Jansen, CEO Hapag-Lloyd, Staatsministerin Sarah Ryglewski und Dr. Chia Lehnardt auf der LADW-Mitgliedersitzung
Staatsministerin beim Bundeskanzler Sarah Ryglewski
Staatsministerin Sarah Ryglewski, Gunnar Kilian und Rafael Haddad
Botschafterin_Salazar-Mejía_Botschafter_Quiroga_Botschafterin_Atria
Botschafterin Salazar-Mejía, Botschafter Quiroga, Botschafterin Atria
Botschafterin_Frutos_Ruiz
Botschafterin Frutos Ruiz
Botschafter_Arzubiaga_Scheuch_Botschafter_López_Fabregat
Botschafter Arzubiaga Scheuch, Reinhard Houben, MdB, Botschafter López Fabregat
Botschafter_Brun_LADW-Vorsitzender_Staatssekretär_Thoms
Botschafter Brun, Gunnar Kilian und Staatssekretär Thoms
Botschafter_Ticona_Cuba
Botschafter Ticona Cuba
Thomas Silberhorn, MdB, und Deniese Sealey, Botschaft Jamaika
Thomas Silberhorn, MdB, und Deniese Sealey, Botschaft Jamaika
Hubert Hüppe, MdB, Eugenia Gutierrez Ruiz, Botschaft Costa Rica, und Ingo Bodtke, MdB
Hubert Hüppe, MdB, Eugenia Gutierrez Ruiz, Botschaft Costa Rica, und Ingo Bodtke, MdB
Botschafter Jaguaribe
Botschafter Jaguaribe
Botschafterin_De_von_Oehsen_und_Botschafterin_Atria
Botschafterin De von Oehsen und Botschafterin Atria
Staatsministerin_Ryglewski_und_Botschafterin_García_Silva
Staatsministerin Ryglewski und Botschafterin García Silva
Manuel Gava, MdB, und Dunja Kreiser, MdB
Manuel Gava, MdB, und Dunja Kreiser, MdB

© Christian Kruppa

Brasilien 2023: Wo bleiben die Deutschen diesmal?

Prominent besetzte Deutsch-Brasilianische Wirtschaftstage 2023 in Belo Horizonte.

2009: Wo bleiben die Deutschen?! – Mit dieser Frage provozierte damals Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die deutsche Politik und Wirtschaft bei seinem Staatsbesuch im Herbst in Berlin. Der Grund lag auf der Hand: Sein Land erlebte einen Hype ohnegleichen, der die Aufmerksamkeit aller wichtigen Nationen der Welt auf sich zog – außer der Deutschlands.

2010: Zu langsam hat Deutschland den Trend aufgegriffen. Als die diversen deutschen Delegationen nach Monaten nach Brasilien kamen, war es bereits zu spät – andere waren längst dagewesen. In der darauffolgenden Dekade hatten Lateinamerika und Brasilien für die deutsche Politik keine Priorität.

2023: Für Brasilien startet plötzlich ein neuer internationaler Hype – diesmal nicht aufgrund der Aussicht auf hohes Wachstum, sondern in Folge eines politischen Wandels.

Und wie reagiert die deutsche Politik jetzt? Ein Paradigmenwechsel: Diesmal ist Deutschland in Brasilien politisch so präsent wie noch nie: Innerhalb von 72 Tagen besuchten das Land Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Umweltministerin Steffi Lemke, Bundeskanzler Olaf Scholz, Entwicklungsministerin Svenja Schulze und heute: Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir! Sie waren auf den Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstagen in Belo Horizonte. Andere Kabinettsmitglieder werden folgen.

Die heutige Konferenz mit ca. 1400 Teilnehmern aus Politik und Wirtschaft hat eine klare Botschaft hinterlassen: Die Deutschen sind da!

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Gouverneur Zema, Vizepräsident Alckmin, Bundesminister Habeck, Bundesminister Özdemir © CNI
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BDI-Präsident Russwurm © CNI
Sabine Bendiek, Mitglied des Vorstands SAP SE
Sabine Bendiek, SAP-Vorstandsmitglied © CNI
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Ein Blick ins Publikum © CNI

Die fünf Prioritäten in der Zusammenarbeit Deutschland-Brasilien

Gemeinsame Erklärung von CNI, BDI und LADW anlässlich des Treffens von Bundeskanzler Scholz und Präsident Lula

In nur 72 Stunden hat Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Januar die drei Länder Argentinien, Brasilien und Chile besucht, um die Kooperation mit der Region entscheidende Schritte weiterzubringen. Ein Höhepunkt der Reise war das Treffen mit dem erst seit 30 Tagen amtierenden Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva im Planalto-Palast in Brasília. Bei der Gelegenheit wurde eine gemeinsame Erklärung des nationalen Industrieverbands Brasiliens (CNI), des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und des Lateinamerika-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (LADW) präsentiert. Gunnar Kilian, LADW-Vorsitzender und Mitglied des Konzernvorstands der Volkswagen AG, durfte die Reise als Mitglied der Wirtschaftsdelegation begleiten.

Das Dokument der Wirtschaft benennt fünf Schwerpunktmaßnahmen, mit denen die wirtschaftliche und politische Kooperation Deutschlands mit der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas gestärkt werden kann:

1. EU-Mercosur-Abkommen zum Abschluss bringen

2. Aktionsplan der strategischen Partnerschaft Deutschland – Brasilien modernisieren

3. Verhandlungen für ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) zwischen Brasilien und Deutschland aufnehmen

4. Beitrittsprozess Brasiliens zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kontinuierlich weiterführen

5. Digitalisierung und Industrie 4.0 mit Themen wie 5G-Technologie, Cybersicherheit und nachhaltige Energiewende voranbringen

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© Pixabay/daherjr

FAQ zum Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur

Das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den Staaten des Mercosur – Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay – beinhaltet Bestimmungen zu politischem Dialog, Kooperation und Handel. Am Rande des G20-Gipfeltreffens am 28. Juni 2019 wurde nach fast 20-jähriger Verhandlungsdauer eine Einigung über den Handelsteil erzielt. Durch das Abkommen entsteht die größte Freihandelszone der Welt mit knapp 800 Millionen Einwohnern. Es ist ein Meilenstein für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit. Vor allem innovative kleine und mittlere Unternehmen werden durch das Abkommen eine höhere Rechtssicherheit für ihre unternehmerischen Aktivitäten erlangen. Bevor es in Kraft treten kann, muss es noch durch das europäische sowie die nationalen Parlamente ratifiziert werden.

Europa darf aber die große Chance nicht verpassen, eines der ersten Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Wirtschaftsraum abzuschließen. Damit werden viele neue Geschäftsmöglichkeiten sowie Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz eröffnet. Gerade in einer weltwirtschaftlichen Krise würde dies wertvolle Impulse für Wirtschaft und Arbeitsplätze in den Unterzeichnerstaaten bedeuten. Mindestens genauso wichtig wäre es aber in Zeiten, in denen multilaterale Handelsregeln häufig missachtet und von einigen Staaten Protektionismus und nationale Interessen über die internationale Kooperation gesetzt werden, geopolitisch bedeutsame Partnerschaften zu festigen. Mit dem Freihandelsabkommen kann die EU die Globalisierung aktiv nach eigenen Vorstellungen mitgestalten. Das Abkommen prägt dauerhaft die Regeln für gute Handelsbeziehungen, fördert die multilateralen Prinzipien der Transparenz, Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung und stärkt internationale Vereinbarungen zur Förderung von Sozial- und Umweltstandards. Zudem schafft das Freihandelsabkommen die Grundlage für einen intensiven politischen und gesellschaftlichen Dialog zur Umsetzung der Vereinbarungen. Gelingt es nicht, auf vertraglicher Basis enger zusammen zu arbeiten, verpassen wir eine gute Gelegenheit, Werte und Standards in den Mercosur-Staaten an das hohe Niveau der EU anzugleichen.

1) Warum strebt die EU überhaupt ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten an?

Europa und die Weltwirtschaft insgesamt profitieren enorm vom internationalen Handel und grenzüberschreitenden Investitionen, einschließlich der dahinterstehenden Arbeitsteilung. Die EU-Handelspolitik ist darauf ausgerichtet, durch Verträge mit Gruppen von Staaten, beispielsweise in der Welthandelsorganisation (WTO), und einzelnen Staaten die Voraussetzungen für einen reibungslosen und regelbasierten Austausch von Waren, Dienstleistungen und Investitionen zu schaffen. Bilaterale Handelsverträge der EU ergänzen den allgemeinen multilateralen Rahmen der Welthandelsorganisation. Bei den bilateralen Verträgen geht es zum einen um eine wechselseitige Marktöffnung, aber auch immer darum, hohe EU-Standards und grundlegende Werte international zu verbreiten, beispielweise Offenheit, Rechtsstaatlichkeit und Transparenz. Obwohl die Europäische Union schon lange substanzielle Wirtschaftsbeziehungen zu den Mercosur-Staaten unterhält, besteht noch kein umfassendes bilaterales Handelsabkommen. Vielmehr sind noch weite Teile des lateinamerikanischen Marktes durch hohe Zoll- und andere Schranken gekennzeichnet. Das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen würde den Handel mit den südamerikanischen Staaten deutlich erleichtern.

2) Wofür braucht die deutsche Wirtschaft ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur?

Ohne offene Märkte im Ausland kann die deutsche Wirtschaft nicht bestehen. Wie in kaum einem anderen Land ist der Wohlstand in Deutschland vom regelbasierten Handel abhängig. Die enge Einbindung in die Weltwirtschaft ist an der Beschäftigung ablesbar: Knapp 30 Prozent der deutschen Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt vom Export ab, im Verarbeitenden Gewerbe sind es sogar 56 Prozent. Bereits heute gehen rund 240.000 Arbeitsplätze in Deutschland auf Exporte in den Mercosur zurück. Nur 2,4 Prozent der deutschen Exporte gehen heute in die Mercosur-Länder. Durch den freien Handel mit dem Mercosur könnte Deutschland seine Exporte in die Region deutlich erhöhen und zugleich seine Risiko-Anfälligkeit beim Export in andere Märkte verringern.

3) Welche Vorteile bietet das EU-Mercosur-Abkommen für deutschen Unternehmen?

Durch das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur bekommen deutsche Unternehmen einen freien, regelbasierten Zugang zu einem Markt mit rund 265 Millionen Konsumenten. Die derzeit noch durch hohe Zölle abgeschotteten Mercosur-Länder haben großen Modernisierungsbedarf. Hohe Importkosten können da sehr hinderlich sein – der durchschnittlich angewendete Zollsatz für Industriegütereinfuhren liegt in Argentinien und Brasilien mehr als dreimal so hoch wie in der EU (2018 laut WTO: 14,2 / 13,9 / 4,2 Prozent). Die Südamerikaner sind zudem jung, aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien und europaaffin. Durch all das bestehen große Absatzchancen für deutsche Produkte und Lösungen. Auch von dem Einsparpotenzial durch die Abschaffung von Zöllen und anderen Handelshemmnissen werden Unternehmen und Verbraucher profitieren. Dabei geht es um mehrere Milliarden Euro jährlich.

4) Ist das Assoziierungsabkommen auch für den industriellen Mittelstand attraktiv?

Auf jeden Fall! Handelshemmnisse belasten kleine Unternehmen deutlich mehr als Großunternehmen, da sie oftmals weder die Zeit noch die Ressourcen haben, diese Hürden zu bewältigen. Die erhöhte Transparenz, die das Abkommen schaffen würde, sowie die Vereinfachung der Zollverfahren sind vor allem für kleine Unternehmen auf beiden Seiten hilfreich. Um die besonderen Herausforderungen der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) im internationalen Handel und bei Investitionen anzugehen, enthält das EU-Handelsabkommen mit den Mercosur-Ländern ein spezielles Kapitel zu deren Förderung. Davon können die KMU profitieren, denen erst unter den verbesserten Bedingungen interessante Geschäftsmöglichkeiten geboten werden, aber auch die knapp 10.000 KMU in Deutschland, die bereits heute in den Mercosur exportieren.

5) Birgt das Abkommen Risiken für die deutsche Wirtschaft?

Das Abkommen ist gerade dafür da, Risiken im Handelsgeschäft mit dem Mercosur zu minimieren, in dem es den Austausch von Waren und Dienstleistungen klar regelt. Große Risiken würden eher dadurch entstehen, wenn das Abkommen nicht in Kraft tritt. Der Mercosur verhandelt gerade zahlreiche Freihandelsabkommen mit anderen Ländern und Regionen. Europäische Produkte und Dienstleistungen würden im Vergleich zu Waren aus diesen Ländern auf Dauer nicht mehr konkurrenzfähig sein, wenn sie Einfuhrzöllen und Handelshemmnissen in den Mercosur-Ländern unterliegen, die Angebote der Wettbewerber aber nicht.

6) Welche Chancen bietet das Abkommen für die Länder des Mercosur?

Mit dem Abkommen besteht für die Mercosur-Länder die große Chance, ihre gesamte Produktionskette – in Landwirtschaft, Industrie, Handel, Transport und Dienstleistungen – nachhaltig zu modernisieren. Die EU ist einer der größten und attraktivsten Absatzmärkte weltweit, der durch das Abkommen einfacher zu erschließen ist. Damit könnten große Gewinne für die dortige Wirtschaft erzielt werden, die mit mehr Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätzen, sozialer Sicherheit und besseren Produkten für den Endverbraucher einhergehen.

7) Schwächt das Abkommen die europäische Landwirtschaft?

Die Interessen der europäischen Landwirtschaft sind im Abkommen angemessen berücksichtigt. Der Absatz von vor Ort beliebten europäischen Erzeugnissen wie Weinen, Spirituosen und Käsesorten wird künftig nicht mehr durch übermäßig komplizierte Verfahren und Zöllen von 20 bis 35 Prozent belastet. Zudem könnte die EU als erster Handelspartner ein Abkommen mit den Staaten des Mercosur abschließen. Dies würde der EU und Deutschland in den nächsten Jahren einen privilegierten Marktzugang ermöglichen. Auch wenn Anpassungsprozesse auf europäische Seite zu erwarten sind, kommt das Abkommen insgesamt auch der deutschen Agrar- und Lebensmittelbranche zugute. Das partnerschaftliche Abkommen bietet eine gute Grundlage für einen fairen Wettbewerb.

8) Bleiben die hohen Verbraucherschutzstandards in der Europäischen Union bestehen?

Ja, die hohen EU-Verbraucherschutzstandards sind nicht verhandelbar. Wie bei allen Freihandelsabkommen müssen auch die aus dem Mercosur eingeführten Agar- und Lebensmittelerzeugnisse den strengen EU-Sicherheitsstandards entsprechen. Diese gelten für alle in der EU verkauften und verbrauchten Produkte, unabhängig davon, ob sie im Inland erzeugt oder importiert werden. Hieran wird sich mit dem Abkommen nichts ändern.

9) Was bedeutet das Abkommen für die Umwelt und den Amazonas-Regenwald?

Das Freihandelsabkommen bietet eine einmalige Möglichkeit für die EU, positiven Einfluss auf die Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards im Mercosur-Raum zu nehmen. In einem eigenen Nachhaltigkeitskapitel werden die Länder verpflichtet, Regelungen zu Biodiversität, nachhaltiger Waldwirtschaft und zur Bekämpfung des illegalen Holzeinschlags einzuhalten. Die Europäische Kommission setzt hierfür auf einen dialogorientierten Durchsetzungsmechanismus: Eine Zusammenarbeit in bilateralen, regionalen und internationalen Foren soll sicherstellen, dass die Vereinbarungen des Nachhaltigkeitskapitels umgesetzt werden. Dieses Verfahren bietet auch den Organisationen der Zivilgesellschaft eine aktive Rolle, die Umsetzung des Abkommens zu überwachen, insbesondere alle Umweltbelange.

10) Hat das Abkommen Auswirkungen auf den Klimaschutz?

Das EU-Abkommen mit den Mercosur-Staaten bietet konkrete Mechanismen, die eine positive Auswirkung auf den Klimaschutz erwarten lassen, obwohl ein Anstieg des Handels zu mehr Transporten und gegebenenfalls Emissionen führen kann. Die vereinbarten Verpflichtungen sorgen unter anderem für größere Effizienz bei Handel und Produktion, eine schnellere Verbreitung von Umwelttechnik, eine bessere Einhaltung internationaler Standards und mit steigendem Wohlstand tendenziell mehr Investitionen in den Umweltschutz und umweltfreundlichere Produkte. Darüber hinaus erhöht das Abkommen das Engagement der Beteiligten für den Klimaschutz. So haben sich zum Beispiel die EU und der Mercosur im Freihandelsabkommen auch zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzübereinkommens verpflichtet. Damit besteht ein zusätzlicher Hebel, die Partnerländer daran zu binden. Für Brasilien beinhaltet dies auch eine Verpflichtung zur Bekämpfung der Entwaldung. Zudem sollen über die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung, zu deren Zielen sich die Mercosur-Staaten verpflichtet haben, Mechanismen erarbeitet werden, die dem Klimawandel entgegenwirken.

11) Sind die Arbeitnehmerrechte durch das Abkommen geschützt?

Im Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung wird auch die Achtung der Arbeitnehmerrechte geschützt. Die Parteien haben vereinbart, dass das EU-Mercosur-Abkommen bestehende Rechte fördern muss und diese nicht verwässern darf. Dabei beziehen sie sich auf die von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) definierten grundlegenden Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, wie zum Beispiel Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz, Abschaffung von Kinder- und Zwangsarbeit, Koalitionsfreiheit und das Recht auf Tarifverhandlungen. Durch eine zügige Inkraftsetzung des Abkommens könnte Rückschritten bei Arbeitnehmerrechten früher entgegengewirkt werden, von denen jüngst Gewerkschaften in einzelnen Mercosur-Staaten berichteten.

12) Wird das Abkommen Regelungen zum Investitionsschutz beinhalten?

Investitionsschutz war nicht Bestandteil der Verhandlungen zwischen der EU und Mercosur-Staaten. Deutschland hat bilaterale Investitionsförderungs- und Schutzverträge (IFV) mit Argentinien, Paraguay und Uruguay. Ein IFV mit Brasilien ist unterzeichnet, aber noch nicht in Kraft.

Weiterführende Informationen

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