Lateinamerikas Wirtschaft gerät in den Sog der kriselnden Weltwirtschaft

In Lateinamerika trüben sich die Konjunkturaussichten ein. Die schwächere Weltwirtschaft drückt die Wachstumsprognosen für die Region. Der Vorteil: Die Zentralbanken in Lateinamerika haben den Zinserhöhungszyklus schon hinter sich, den Europa noch vor sich hat.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) hat gerade ihre neuesten Wachstumsprognosen für die Region veröffentlicht. Danach sinkt das Wachstum von 3,2 Prozent im Jahr 2022 bereits nächstes Jahr wieder auf 1,4 Prozent. Vor allem die beiden wichtigsten Ökonomien auf dem Kontinent werden stagnieren: Brasilien und Mexiko werden – so die CEPAL – nächstes Jahr jeweils nur rund ein Prozent wachsen. Chiles Wirtschaft könnte als einziges Land in der Region sogar in eine Rezession rutschen (-0,9 Prozent).

Die Gründe für das schwächer als noch vor kurzem prognostizierte Wachstum in Lateinamerika sind weniger in der Region als in der Weltwirtschaft zu suchen. So sind die Risikoeinschätzungen der Investoren weltweit gestiegen. Das hängt mit den Folgen des Russlandkrieges gegen die Ukraine zusammen, welche Unternehmen wie Konsumenten verunsichert. Die Aussichten für die Weltkonjunktur haben sich deutlich eingetrübt.

Die höheren Energiepreise weltweit befeuern die Inflation weiter. Die Zentralbanken in den Industrieländern sind dabei, die Zinsen zu erhöhen, um die Preissteigerungen auszubremsen. Dadurch fließt automatisch weniger Kapital in Emerging-Markets wie Lateinamerika.

Wie stark abhängig Lateinamerika von der Stimmung in den Industrieländern ist, das zeigt sich besonders am Beispiel Mexiko. Dort stabilisieren vor allem die Rücküberweisungen der Emigranten aus den USA die Wirtschaft. Die Überweisungen haben sich in den vergangenen zwölf Monaten verdoppelt. Die mexikanische Zentralbank schätzt, dass Mexikaner in den USA dieses Jahr 60 Milliarden Dollar nach Süden überweisen könnten. Das ist etwa so viel Kapital, wie ausländische Investoren und Unternehmen dieses Jahr in Brasilien investieren werden.

Diese Abhängigkeit von den Überweisungen aus den USA macht die Ökonomie Mexikos jedoch verletzbar: Derzeit bestehen rund vier Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) aus den Rücküberweisungen aus den USA. Doch die Wirtschaft der USA wird 2023 weniger stark wachsen. Dadurch dürften die Emigranten nächstes Jahr vermutlich weniger in ihre Heimat überweisen können – wodurch auch die Wirtschaft Mexikos stagnieren wird.

Positiv ist jedoch für Lateinamerika, dass die Zentralbanken in der Region bei der Inflationsbekämpfung weiter vorangekommen sind. Die Zinserhöhungszyklen in Brasilien, Chile, Kolumbien aber auch in Peru und Mexiko nähern sich dem Ende – damit ist die Region viel weiter als Europa oder die USA bei der Inflationsbekämpfung.

In der ganzen Region haben die Banken schneller und stärker die Zinsen erhöht, als das im Rest der Welt geschehen ist. Brasilien etwa hat in einem Jahr den Leitzins von 2 auf 13,75 Prozent erhöht. Die Inflation ist dabei von 12 auf 8 Prozent gesunken.

Das ist positiv für die Region: Sinkende Zinsen werden die Investitionen und den Konsum in Lateinamerika schneller wieder ansteigen lassen als in Europa und den USA.

Santiago_Chile
© Pixabay/likesilkto

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