CEO Agenda für die Zusammenarbeit mit Lateinamerika und der Karibik

Der LADW hat eine CEO Agenda erarbeitet, um die wirtschaftlichen Potenziale Lateinamerikas aufzuzeigen, erforderliche Strategien und Ansätze für die Diversifizierung deutscher Unternehmen zu liefern und den Ausbau der Zusammenarbeit mit Lateinamerika voranzutreiben. Grundlage für die Entwicklung der Agenda ist die Perspektive der CEOs und Vorstände namhafter Firmen, die im LADW versammelt sind. Sie verbindet Informationen aus diversen Interviews und Expertengesprächen mit einer fundierten Analyse der Region.

 

 

Resümee

 

Kontext

 

    • Aufgrund der veränderten geopolitischen Lage hat die Zusammenarbeit mit Lateinamerika neuen Schwung bekommen. Motiviert durch den Regierungswechsel in Brasilien im Januar 2023 ist die Reisetätigkeit und das Bemühen der Bundesregierung um die Region intensiver als je zuvor.
    • Doch die mangelnde Aufmerksamkeit der letzten Jahre hat Folgen. Deutschland und die EU haben in der Region an Bedeutung verloren. Lateinamerika wird mehr und mehr als attraktive Region geschätzt und erhält Angebote für Investitionen aus der ganzen Welt – von den USA, aus dem Nahen Osten, Russland und Asien. Von Deutschland werden daher auch konkrete Kooperationsangebote und Projekte erwartet.
    • Die deutsche Wirtschaft ist intensiv mit der Rezession im eigenen Land beschäftigt, durchläuft einen kostspieligen Transformationsprozess, um die Klimaziele zu erreichen, und ist gleichzeitig gezwungen, sich stärker zu diversifizieren. All das bindet Ressourcen und könnte, besonders im industriellen Mittelstand, zusätzliche Investitionskapazitäten in neuen Märkten verknappen.

 

Die wichtigsten Erkenntnisse

 

1 Potenzial Lateinamerikas

 

Lateinamerika kommt bei der Stärkung der Krisenfestigkeit der deutschen Wirtschaft eine Schlüsselrolle zu.

Lateinamerika kann als Wachstumsmarkt mit China und Indien Schritt halten – mit jährlichen Wachstumsraten von bis zu 6 % ab 2027 – wenn es auf Zukunftsbranchen mit nachhaltigen Technologien setzt und den internationalen Handel intensiviert (z. B. durch Handelsabkommen mit der EU). Bereits heute ermöglicht die Region höhere Margen für Unternehmen als asiatische Märkte wie China und Malaysia.

    • Zukunftsbranchen haben ein großes Potenzial für Lateinamerika aufgrund der guten natürlichen Voraussetzungen der Region für nachhaltige Technologien. In der Vergangenheit wuchs z. B. der Windenergiemarkt in Brasilien durchschnittlich um mehr als 30 % pro Jahr, was einen potenziellen Einfluss auf das BIP von bis zu 1 % bedeutet.
    • Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Handelsabkommen, wie z. B. bilaterale oder das Mercosur-Abkommen, könnten ein zusätzliches BIPWachstum von bis zu 2 % generieren.
    • Um einen Rückgang des BIP-Wachstums um bis zu 21 % bis 2030 zu verhindern, benötigen die Länder Lateinamerikas dringend eine Produktivitätssteigerung. Der Einfluss der Produktivität auf das BIP-Wachstum in Lateinamerika fällt heute am geringsten aus. Lateinamerika kommt bei der Stärkung der Krisenfestigkeit der deutschen Wirtschaft eine Schlüsselrolle zu.

 

Die Region ist heute einer der vielversprechendsten und wettbewerbsfähigsten Märkte für die Produktion von erneuerbaren Energien im weltweiten Vergleich. Dazu kommen die immensen Reserven an wichtigen Rohstoffen, die für eine grüne Transformation der Industrie entscheidend sind. Südamerika kann sich zu einer der größten Exportplattformen für grünen Wasserstoff und andere Formen exportierbarer erneuerbarer Energien entwickeln.

    • Obwohl Lateinamerika bereits einen sehr hohen Anteil an erneuerbaren Energien in seinem Strommix aufweist, ist die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen in der Region noch ausbaufähig und dürfte weiter zunehmen.
    • Es wird erwartet, dass der globale Wasserstoffmarkt jährlich um ca. 40 % wächst – Chile und Brasilien gehören zu den weltweit führenden Standorten, die im Jahr 2030 grünen Wasserstoff für weniger als 1,50 USD pro kg H2 produzieren könnten. In Lateinamerika sind bereits 12 Projekte zur Wasserstoffproduktion in Betrieb und etwa 70 in der Entwicklung, weltweit sind mehr als 500 Projekte im industriellen Maßstab geplant.
    • Lateinamerika verfügt über ca. 60 % der weltweiten Lithiumreserven, d. h. 11-mal mehr als Europa. Dabei wird schon 2024 die Lithiumnachfrage das Angebot übersteigen und sich das Verhältnis von etwa 30 % Überschuss im Jahr 2021 auf ca. 20 % Knappheit im Jahr 2025 umkehren. Auch ca. 18 % der Reserven an seltenen Erden befinden sich in Brasilien, das sind die zweitgrößten Reserven der Welt und 18-mal mehr als in Europa.
    • Bei zusätzlichen Kapazitäten für Wind- und Solarprojekte sind Chile und Brasilien international führend.

 

Lateinamerika hat beste Voraussetzungen, ein strategischer Markt für die Gewinnung von Fachkräften für deutsche Unternehmen zu werden, insbesondere in technischen Berufen. Zudem gehören die Arbeitskosten dort zu den wettbewerbsfähigsten der Welt.

    • Ingenieurwesen, IT und Naturwissenschaften machen mehr als 20 Prozent der Hochschulabschlüsse in Brasilien, Chile, Mexiko und Kolumbien aus. In Deutschland gibt es bereits seit 2018 ca. 700.000 offene Stellen in Tech-Jobs und die Lücke wird bis 2026 voraussichtlich auf etwa 780.000 anwachsen.
    • Ein weiterer Talentpool für deutsche Unternehmen in Lateinamerika sind Schulabgänger, die keine Hochschulausbildung beginnen – in Brasilien waren das 2021 31 Mio. junge Erwachsene. Sie sind mögliche Kandidaten für neue Bildungsangebote, wie z. B. Programmierschulen, die deutsche Firmen „maßgeschneidert“ im Land starten könnten.
    • Hinzu kommen in Brasilien jährlich ca. 500.000 Hochschulabsolventen im Bereich Technik und ca. 900.000 im Bereich Wirtschaft mit einer derzeit niedrigen Beschäftigungsquote von ca. 83 % für 25- bis 64-Jährige mit Hochschulabschluss (ca. 60 % insgesamt). Das führt zu zusätzlichem Potenzial für die Gewinnung von Fachkräften für deutsche Unternehmen.
    • Tech-Hubs als Standorte mit IT-Spezialisten und Gründern, wie São Paulo, Bogotá oder Mexiko-Stadt als Teil des technologischen Wachstums in der Software- und Hardware-Industrie können zudem Ansatzpunkte bieten, um vom Talentpool in Lateinamerika zu profitieren.

 

2 Deutsches Engagement in der Region

 

Noch ist Deutschland in Lateinamerika gut positioniert. Aber die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit stagniert und Marktanteile wurden sukzessive verloren.

    • Mit nur rund 50 Mrd. USD an Investitionen in Lateinamerika gehört Deutschland im OECD-Vergleich zu den Schlusslichtern (Investitionsbestand der OECD-Länder im Durchschnitt: 80 Mrd. USD).
    • Auch die deutschen Exporte in die Region sind in den letzten 10 Jahren kaum gewachsen: Während die USA und China ihre Exporte in diesem Zeitraum um 38 % (2022: 547 Mrd. USD) und sogar 87 % (2022: 252 Mrd. USD) erhöht haben, wuchsen deutsche Ausfuhren um lediglich 3 % (2022: 44 Mrd. USD).
    • Chinas Rolle als Technologiepartner auf den dortigen Märkten darf nicht unterschätzt werden. Bei chinesischen Investitionen kann man zum einen eine Verlagerung von Investitionen von staatlichen Banken auf Geschäftsbanken ablesen, zum anderen betrifft die Mehrheit der Transaktionen fortgeschrittene Technologien, wie Kommunikation, Automobil und die Produktion elektronischer Komponenten.

 

3 Fazit: Strategien zum Ausbau der Zusammenarbeit

 

Es braucht neue Ansätze von Politik und Wirtschaft, damit das Engagement Deutschlands in Lateinamerika über den Status quo hinaus ausgebaut werden kann. Nur so wird es möglich, Chancen durch die wirtschaftliche Neuordnung des globalen Ökosystems rechtzeitig zu ergreifen.

    • Die wirtschaftliche Neuordnung des globalen Ökosystems könnte erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung Lateinamerikas haben. Um nicht noch mehr an Bedeutung für die Region einzubüßen, müssen Deutschland und die EU in dieser Phase stärker präsent sein (z. B. werden jetzt langfristige Rohstoffverträge vergeben).
    • Deutsche Unternehmen sind gut beraten, den Stellenwert Lateinamerikas für ihre globale Diversifizierungsstrategie auf den Prüfstand zu stellen und langfristige Entscheidungen zum Engagement in der Region zu treffen.
    • Fünf Strategien können Unternehmen dabei helfen, ihre Präsenz auf den Märkten Lateinamerikas zu erhöhen:

1) Import kritischer/nachhaltiger Ressourcen wie Lithium, seltene Erden und Energie aus erneuerbaren Quellen, z. B. über grünen Wasserstoff.

2) Produktion in der Region für den Export.

3) Ausstattung lokaler Unternehmen mit Technologien, die die Produktivität erhöhen, z. B. IoT-Technologie, Maschinen und digitale Werkzeuge.

4) Stärkung und Ausrichtung des Angebots auf die wachsende Mittelschicht Lateinamerikas und ihre Bedürfnisse in bestimmten Bereichen, z. B. Mobilität und Gesundheitswesen.

5) Nutzung des großen Talentpools an hochqualifizierten Fachkräften in Lateinamerika durch gezielte Ausbildungsangebote und Maßnahmen, da die Region kulturell gut mit den USA und Europa kompatibel ist.

    • Die CEO Agenda empfiehlt entsprechend der fünf Strategien vier mögliche Hebel, die von Aktionen einzelner Unternehmen, über Bündnisse und Kooperationen mehrerer Unternehmen bis hin zu nötigen Maßnahmen der Politik reichen.
    • Darüber hinaus werden 9 konkrete Initiativen vorgeschlagen, um dem Engagement in der Region mehr Schwung zu verleihen, z. B. eine Allianz interessierter Unternehmen zur Beschaffung/Entwicklung grüner Wasserstoffprojekte in Brasilien oder ein gemeinsamer Talentpool als Teil eines digitalen Produktionsökosystems sowie die Gründung von Programmierschulen in Lateinamerika.

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