Lateinamerika wird als Öllieferant für den Weltmarkt wichtiger
Innerhalb von Lateinamerika verschieben sich die Verhältnisse zwischen den Ölproduzenten: Guyana, Brasilien und Argentinien werden ihre Produktion bis 2030 steigern. Ecuador, Mexiko und Kolumbien dagegen verlieren an Bedeutung – genauso wie Venezuela.
von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ
Lateinamerika hat nach dem Nahen Osten die zweitgrößten Öl- und Gasreserven weltweit. Doch die rund acht Mio. Fass am Tag (bpd), welche die Staaten produzieren, werden mehrheitlich in der Region verbraucht.
Doch das könnte sich ändern – betrachtet man die Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA). Danach wird die Ölproduktion Lateinamerikas bis 2030 auf zehn bis elf Mio. bpd anwachsen – je nachdem ob die Staaten die zugesagten Klima-Emissionen des Pariser Abkommens einhalten oder nicht. Damit würde ein Viertel der wachsenden Ölproduktion weltweit aus Lateinamerika kommen.
Dabei verschieben sich die Gewichte innerhalb der Region – wie bereits in den letzten Jahren. Derzeit fördert Brasilien an der Spitze rund 35 Prozent des Öls in Lateinamerika. Mexiko folgt mit 25 Prozent. Kolumbien, Venezuela und Argentinien tragen jeweils weniger als zehn Prozent zur regionalen Produktion bei.
Doch traditionelle Ölförderländer wie Mexiko, Kolumbien und Ecuador werden ihre Ölproduktion weiter reduzieren. In Kolumbien und Ecuador wollen die Regierungen aus klimapolitischen Gründen keine neuen Förderlizenzen vergeben. In Ecuador hat gerade die Bevölkerung bei einem Volksentscheid die Ölförderung im Regenwald abgelehnt. In Kolumbien will Präsident Gustavo Petro die Öl- und Gasförderung reduzieren.
In Mexiko dagegen setzt Präsident Andrés Manuel López Obrador dezidiert auf die Ölproduktion und nicht auf erneuerbare Energien. Doch der Staatskonzern Pemex ist der höchstverschuldete Ölkonzern weltweit und nicht in der Lage, die Tiefseevorkommen in der Karibik zu erschließen.
Brasilien dagegen hat sich nach der Entdeckung der Tiefseevorkommen vor Rio de Janeiro im Jahr 2007 voll auf die Erschließung der sogenannten Pré-Sal-Vorkommen konzentriert. Von 40.000 Fass haben der staatliche Konzern Petrobras und private Ölkonzerne die Förderung auf 2,2 Mio. bpd gesteigert. Brasilien ist heute die Nummer 8 unter den Ölförderländern weltweit.
Im Norden Brasiliens, nahe der Mündung des Amazonas werden weitere große Vorkommen vermutet. Derzeit findet in Brasilien zwischen Umweltschützern und der Ölindustrie ein politisches Tauziehen statt, ob diese Vorkommen erschlossen werden sollen oder nicht.
Die Ölindustrie ist zuversichtlich, dass nördlich des Äquators große Ölvorkommen existieren. Denn nicht weit entfernt davon hat der Ölkonzern Exxon in Guyana 2015 die größten neuen Ölvorkommen weltweit entdeckt. Die Förderung in der Karibik wird rasant ausgebaut. 2030 kann die Produktion vor der Küste von Guyana von derzeit rund 300.000 bpd auf 1,2 Mio. bpd gesteigert werden.
Argentinien könnte das dritte Land in Lateinamerika sein, dass bis 2030 seine Förderung steigern kann. Dort versiegen zwar die herkömmlichen Ölvorräte. Doch das Land besitzt gewaltige Schieferölvorkommen, die private Unternehmen entwickeln wollen.
Während Brasilien und Guyana bis 2030 jeweils eine Mio. bpd zusätzlich produzieren könnten, schätzt die IEA den Zuwachs für Argentinien auf eine halbe Mio. bpd. Bei der Ölförderung in Brasilien wie in Guyana wird zudem deutlich weniger Kohlendioxid freigesetzt als im weltweiten Durchschnitt.
Das einst wichtigste Ölland der Region, der OPEC-Gründungsstaat Venezuela, dagegen wird in absehbarer Zeit seine Produktion nicht nennenswert steigern können, erwartet die Energieagentur.
Dort verhindern die korrupte Führung des staatlichen Ölkonzerns und die fehlenden Investitionen, dass das Land wieder seine ehemalige Führungsrolle als südamerikanische Ölmacht übernehmen könnte: Drei Mio. Fass förderte der Staatskonzern vor 25 Jahren, als Präsident Hugo Chávez an die Macht kam und den Konzern für seine politischen Ziele einsetzte. Davon hat sich die Produktion bis heute nicht erholt. Etwa 700.000 bpd fördert Venezuela derzeit noch.