Infrastruktur Brasiliens im Aufwind
Investoren zeigen überraschend großes Interesse an neuen Konzessionen. Die Regierung will nun den Anteil privater Beteiligungen an ihnen erhöhen.
von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ
Nach langem Stillstand kommt plötzlich Bewegung in Brasiliens Infrastruktursektor. Bei den Ausschreibungen der vergangenen Tage gab es erstmals seit Jahren wieder lebhafte Bieterrunden. Dabei ging es unter anderem um die Anbindung von zwei wichtigen Fernstraßen aus den Agrargebieten nach São Paulo und zu den Atlantikhäfen. 14 Unternehmen und Investmentfonds boten mit und trieben die Agios deutlich in die Höhe. Die Unternehmen verpflichteten sich, rund 3,6 Mrd. Euro in den Ausbau der Fernstraßen zu investieren.
Das ist erst der Anfang. Die Regierung will vor allem die privaten Investitionen in Straßen, Bahnkonzessionen und Kanalisation erhöhen. 35 Ausschreibungen für Fernstraßen will die Regierung in ihrer Amtszeit bis Ende 2026 versteigern. Hinzu kommen fünf Eisenbahnverbindungen.
Das große Interesse überrascht. Denn Brasiliens Infrastruktursektor entwickelte sich fast ein Jahrzehnt lang wegen des Korruptionsskandals Lava Jato weit unter seinem Potenzial. Die damals beteiligten Baukonzerne fielen als Investoren aus. Pandemie und politische Turbulenzen sorgten für eine weitere Phase der Zurückhaltung privater Konzerne.
Doch jetzt haben sich die Rahmenbedingungen geändert: Mit dem neuen Ausschreibungsgesetz von 2021 (Nova Lei de Licitações e Contratos, kurz NLLC) wurden die Konzessionen modernisiert. Sie sind transparenter, nachhaltiger und der Staat übernimmt deutlich höhere Risiken als bisher.
Hinzu kommt, dass der Regierung von Präsident Luiz Inacio Lula da Silva kaum Mittel zur Finanzierung staatlicher Infrastrukturprojekte zur Verfügung stehen. Finanzinvestoren erwarten jetzt Kürzungen bei den Staatsausgaben – keine weiteren Erhöhungen.
Das Haushaltsdefizit Brasiliens ist seit Lulas Amtsantritt Anfang vergangenen Jahres um rund zehn Prozentpunkte von 72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen. Investoren verlangen bereits hohe Zinsaufschläge, um Brasilien Geld zu leihen. Der Leitzins liegt bei astronomischen 10,75 Prozent – keine gute Voraussetzung für langfristige Investitionen.
Gleichzeitig investiert Brasilien weniger als die Hälfte dessen, was nötig wäre, um nur die bestehende Infrastruktur zu erhalten. Statt 4-5 Prozent des BIP fließen weniger als 2 Prozent in den Sektor, so die Experten der Beratungsfirma InterB.
Um die Investitionslücke zu schließen, setzt die Regierung nun vor allem auf privates Kapital. Die staatliche Entwicklungsbank BNDES will den Anteil privater Konzessionäre bei Ausschreibungen durch Finanzierungen auf 75 Prozent erhöhen. In diesem Jahr übertrifft der Anteil privater Investitionen in die Infrastruktur erstmals den der öffentlichen Hand.
Es ist davon auszugehen, dass bald auch neue ausländische Konzerne auf den Plan treten: Denn je mehr Projekte in der Pipeline sind, desto eher lassen sich die Kosten für teure Beteiligungen an Ausschreibungen verteilen. Zudem treten vor allem brasilianische Investmentfonds als neue Akteure auf.
Vieles deutet darauf hin, dass Brasilien vor einer neuen Welle von Infrastrukturinvestitionen steht. Für die Gesamtwirtschaft wäre das ein gutes Zeichen: Denn die Transportkosten sind derzeit der größte Kostenfaktor für die Exportwirtschaft.