Fliegt Südamerika unter Washingtons Radar?
Für fast alle Staaten Südamerikas hat Trump „nur“ den reziproken Mindestzoll von 10 Prozent verhängt. Was ist der Grund dafür und welche Folgen könnte das für die Region haben?
von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ
Südamerika atmet auf. Donald Trump hat an seinem „Tag der Befreiung“ die südamerikanischen Staaten bei seiner Zollerhöhungsoffensive nur mit den niedrigsten Importzöllen bedacht. Mit Ausnahme von Venezuela werden die Importe aller Staaten „nur“ um zehn Prozent erhöht.
Davon ausgenommen sind die bereits erfolgten Zollerhöhungen für Stahl und Aluminium. Auch für Mexiko gelten ab sofort die bereits vor einigen Wochen angekündigten Importzölle von 25 Prozent.
Warum Südamerika im Vergleich zu den Schwellenländern aus Südostasien vergleichsweise glimpflich davon kommt – darüber lässt sich nur spekulieren. Ein Blick in die Handelsbilanzen hilft weiter: Mit allen großen Volkswirtschaften Südamerikas erzielen die USA Handelsüberschüsse. Es gibt also keinen rationalen Grund, südamerikanische Exporte mit Importzöllen zu belegen, wenn man – wie Trump offensichtlich – Außenhandelsdefizite abbauen will und diese negativ bewertet.
Anders verhält es sich mit Mexiko. Das Land, das mit den USA und Kanada zunächst durch NAFTA und ab 2020 durch das Nachfolgeabkommen USMCA (United States-Mexico-Canada Agreement) verbunden ist, verzeichnet nach China den größten Handelsüberschuss mit den USA.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass Südamerika aufgrund seiner Handelsdefizite mit den USA in Zukunft von Trumps Vergeltungspolitik verschont bleiben wird – dafür ist es noch zu früh und Trump zu unberechenbar.
Dennoch könnte die unerwartet entspannte Haltung des US-Präsidenten gegenüber Südamerika darauf hindeuten, dass Trump den südlichen Teil des amerikanischen Kontinents im Sinne der Monroe-Doktrin als zu den USA gehörig betrachtet.
Danach erklärten die USA vor rund 200 Jahren, dass sie Lateinamerika kontrollieren und dort keine ausländischen Mächte dulden würden.
Nach dem Ende des Kalten Krieges geriet die Monroe-Doktrin in Vergessenheit. Doch schon unter der ersten Trump-Administration erklärten enge Mitarbeiter wie Sicherheitsberater John Bolton oder der CIA-Direktor und spätere Außenminister Mike Pompeo, dass die Monroe-Doktrin wieder gelte.
Eine Bestrafung Südamerikas mit hohen Zöllen würde die Region aber in die Arme anderer Handelspartner – und vor allem Chinas – treiben. Die wachsenden chinesischen Investitionen in Bergbau, Stromnetze, Telekommunikation und Infrastruktur werden in Washington kritisch beobachtet.
So schlug Mauricio Claver-Carone, Sonderbeauftragter des US-Außenministeriums für Lateinamerika, vor, Produkte, die über den von China finanzierten Hafen Chancay in Peru in die USA gelangen, mit einem Zoll von 60 Prozent zu belegen.
Es bleibt jedoch abzuwarten, welche Auswirkungen die erhöhten US-Zölle auf die Weltwirtschaft und damit indirekt auch auf den Außenhandel in Südamerika haben werden.
Südamerikanische, aber auch mexikanische Agrarproduzenten hoffen beispielsweise darauf, dass die ostasiatischen Staaten und China ihre Nahrungsmittelimporte aus Südamerika erhöhen, da sie ebenfalls Zölle auf Agrarexporte aus den USA erheben könnten.
In der ersten Trump-Administration konnten die lateinamerikanischen Landwirte ihre Exporte nach Asien deutlich steigern.
Positiv könnte auch sein, dass lateinamerikanische Konzerne nun ihre Wertschöpfungsketten von Mexiko nach Argentinien ausdehnen. Bislang galt die mexikanische Wirtschaft in Südamerika als eine Region, die sich vor allem auf Nordamerika konzentriert und die südlichen Nachbarn vernachlässigt. Das könnte sich nun ändern.
Auf der anderen Seite fürchten lateinamerikanische Industrie- und Konsumgüterunternehmen, dass asiatische Konkurrenten nun versuchen könnten, ihre in den USA blockierten Exporte in andere Regionen umzuleiten – das wachsende Lateinamerika böte sich dafür als Binnenmarkt mit einer ähnlich hohen Bevölkerungszahl wie Südostasien an.