EIU-Demokratie-Index: Chile steigt auf, Mexiko verliert
Die Qualität der Demokratien in Lateinamerika sinkt seit 2015 jährlich weiter. Dennoch gibt es positive Entwicklungen.
von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ
Lateinamerika bleibt die Region weltweit mit der höchsten Demokratiedichte nach Nordamerika und Europa – so der neueste Demokratie-Index der Economist Intelligence Unit (EIU) für das Jahr 2022. Doch die Qualität der Demokratien in Lateinamerika ist weiter gesunken – im siebten Jahr in Folge.
Dabei gibt es in Lateinamerika bezüglich der Demokratien zwei gegensätzliche regionale Trends: So entwickeln sich Zentralamerika, die Karibik und Mexiko zunehmend autoritärer. Südamerika dagegen kann das Niveau seiner Demokratien weitgehend halten.
El Salvador, Mexiko und Haiti sind die demokratischen Absteiger der Region.
Besonders bedenklich ist das für Mexiko, wo etwa 20 Prozent der Lateinamerikaner leben. Präsident Andrés Manuel López Obrador versucht hartnäckig, den Einfluss der Wahlbehörde zu reduzieren, und setzt zunehmend auf das Militär in der Wirtschaft. Zudem ist die Unabhängigkeit der Medien bedroht, so der EIU.
In Südamerika dagegen haben sich im letzten Jahr die Demokratien behauptet: Das gilt besonders für Brasilien, Kolumbien und Chile. Dort haben durch Wahlen legitimierte, grundsätzliche politische Wechsel stattgefunden.
In Brasilien konnte die zunehmende Erosion der demokratischen Institutionen unter Präsident Jair Bolsonaro durch seine Abwahl gestoppt werden. Auch der Versuch seiner Anhänger, das Wahlergebnis mit Hilfe der Militärs zu annullieren, schlug fehl.
In Kolumbien gelangte mit Gustavo Petro erstmals ein linker Politiker mit dem klaren Mandat der Wähler an die Macht. Auch in Chile ist Gabriel Boric als linker Präsident inmitten einer komplexen Verfassungsreform gewählt worden.
In beiden Staaten wurden trotz der zum Teil knappen Ergebnisse die Wahlen nicht angezweifelt. Es gelang, die aufgeladene und polarisierte Stimmung in der Bevölkerung zu entschärfen. Kurz vor der Pandemie war es in beiden Staaten zu landesweiten, gewalttätigen Protesten gekommen.
Zudem befinden sich in Südamerika mit Uruguay und Chile – neben dem mittelamerikanischen Costa Rica – drei Staaten in der demokratischen Spitzengruppe von 24 Staaten weltweit. Das zeigt, dass demokratischer Fortschritt auch angesichts der komplexen Herausforderungen in der Region möglich ist. Uruguay ist der Spitzenreiter auf Platz 11, drei Positionen vor Deutschland. Costa Rica und Chile liegen etwa auf dem Niveau Großbritanniens oder Österreichs.
Dennoch ist das nur ein schwacher Trost: Diese drei Vorbilddemokratien vereinen gerade mal vier Prozent der 670 Millionen Lateinamerikaner. Knapp die Hälfte (45 Prozent) lebt in autoritären Staaten oder in Demokratien mit großen Mängeln, also „fehlerhaften Demokratien“ („flawed democracies“). Für knapp zwei Drittel (62 Prozent) der Lateinamerikaner hat sich der Zustand ihrer Demokratien verschlechtert.
Diktaturen sind Cuba, Nicaragua, Venezuela und Haiti. In El Salvador ist Präsident Nayib Bukele dabei, sein Land in ein autoritäres Regime zu verwandeln.
Als eine der größten Bedrohungen der Demokratien in Lateinamerika sieht der EIU die wachsende Macht der Drogenmafias und der Milizen. Durch ihre extrem hohen Gewinne falle es ihnen leicht, die demokratischen Institutionen durch Korruption auszuhöhlen.