Druck auf die Zentralbanken und Finanzminister in Lateinamerika steigt

Das deutlich höhere Wachstum im ersten Quartal dieses Jahres haben die Wenigsten erwartet. Doch für den längerfristigen Konjunkturverlauf wird entscheidend sein, wann die Zentralbanken ihre Zinsen senken werden. Darüber ist in der Region ein heftiger Streit entbrannt.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Im ersten Quartal ist das Wachstum in den meisten Volkswirtschaften Lateinamerikas deutlich höher ausgefallen, als erwartet. So prognostizierte die Investmentbank JP Morgan noch zu Jahresbeginn im ersten Quartal ein schrumpfendes Wachstum von -0,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Nun rechnen die Ökonomen damit, dass die Wirtschaft in der Region um 2,1 Prozent gewachsen sein könnte.

Vor allem in Chile, Brasilien und Mexiko legten die Ökonomien deutlich stärker zu. Das liegt einerseits an den stabilen Exporten nach China (Chile), den Rekordergebnissen bei den Agroausfuhren (Brasilien) sowie der weiteren Erholung des inländischen Konsums (Mexiko). Nur in Peru, Uruguay und Argentinien fiel das Wachstum deutlich geringer aus als erwartet.

Doch die Erholung könnte bald wieder vorbei sein. Der Internationale Währungsfonds und die meisten Investmentbanken prognostizieren für die Region weiterhin ein niedriges Wachstum in diesem Jahr: Nach dem Plus von 3,6 Prozent im vergangenen Jahr dürfte das Wachstum auf rund ein Prozent zurückgehen, heißt es bei JP Morgan. Oxford Economics rechnet mit einem Plus von nur 0,4 Prozent in den sechs größten Volkswirtschaften der Region.

Weil sich die Konjunktur nun wieder einzutrüben droht, haben die Regierungen in allen Ländern den Druck auf die Zentralbank und den Finanzminister erhöht. Sie wollen, dass die Banken endlich die Zinsen senken und die Finanzministerien die staatlichen Budgets ausweiten. Dann könnten der private Konsum und die Investitionen zulegen und der Staat hätte mehr Kapital zur Verfügung, um seinerseits das Wachstum anzukurbeln.

Doch die Zentralbanken weigern sich, weil sie die immer noch hohe Inflation in ihren Ländern mit einer restriktiven Geldpolitik bekämpfen wollen. Nicht das Wachstum, sondern die Geldstabilität ist ihr Auftrag. Auch die Finanzminister versuchen die Ausgaben zu kontrollieren, damit die Defizite in den Staatshaushalten nicht wieder anwachsen.

So macht der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva immer wieder die Zentralbank für das langsame Wachstum verantwortlich. Am liebsten würde er den Zentralbankpräsidenten entlassen. Doch das geht nicht. Die Zentralbank ist autonom. Erst Ende nächsten Jahres kann Lula den Präsidenten ersetzen.

In Kolumbien hat Gustavo Petro gerade bei einer Kabinettumbildung seinen bei Investoren angesehen Finanzminister José Antonio Ocampo ausgetauscht. In Mexiko kürzte Präsident Andrés Manuel López Obrador das Gehalt der Spitzenbeamten, weil ihm die Entscheidungen der Zentralbank ein Dorn im Auge sind.

Die Attacken der Regierungen auf die Zentralbanken haben jedoch einen negativen Effekt: So sind in Brasilien die Inflationserwartungen für Ende 2023 von rund 5 auf 6 Prozent gestiegen. Die Investoren befürchten, dass die Zentralbank auf Druck der Regierung die Zinsen schneller senken könnte, als es für das Inflationsziel nötig wäre. Auch in Kolumbien und Mexiko dürften die Zinssenkungen später beginnen als noch vor kurzem erwartet und damit das Wachstum belasten.

Die gute Nachricht: In Uruguay hat die erste Zentralbank Lateinamerikas jetzt den Leitzins gesenkt. In Chile könnte es ab Mitte des Jahres so weit sein.

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© Pixabay/Yolanda

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