Die Wahlen in Brasilien haben die politische Landkarte Lateinamerikas bereits verändert

Die Rechte um Präsident Jair Bolsonaro hat im ersten Wahldurchgang in Brasilien einen Erdrutschsieg erlebt. Der Ex-Präsident Lula führt weiter. Europa muss sich auf ein verändertes Partnerland einstellen.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Die Wahlen in Brasilien waren in ganz Lateinamerika mit großer Spannung erwartet worden. Was in Brasilien politisch und wirtschaftlich geschieht, hat starke Auswirkungen auf die Region wegen der Dominanz der brasilianischen Wirtschaft und der Größe des Landes und der Bevölkerung.

Nach dem ersten Wahldurchgang am 2. Oktober haben bereits jetzt Veränderungen stattgefunden, die unabhängig vom Ausgang der Stichwahlen am 30. Oktober für Südamerika entscheidend sein werden.

Zwei Überraschungen gab es: Einerseits gewann Präsident Jair Bolsonaro deutlich mehr Stimmen als in den Umfragen vorhergesagt. Statt rund 34 Prozent entschieden sich 43 Prozent der Wähler für ihn. Andererseits erlebte die Rechte um Präsident Jair Bolsonaro einen landesweiten Erdrutschsieg im Kongress und in den Bundesstaaten.

Das bedeutet, dass in Brasilien gerade eine politische Zeitenwende stattfindet: Bolsonaro hat bewiesen, dass er politisch keine rechtspopulistische Eintagsfliege ist. Er hat – wie sein Vorbild Trump in den USA – Brasiliens konservative Wende, die in den Flügeln teilweise rechtsradikal, zuweilen auch wirtschaftsliberal oder auch einfach nur wertkonservativ ausgeprägt ist, fest in der Politik verankert.

Damit hat er in Brasilien die sonst in Südamerika stattfindende Linkswende ausgebremst. Derzeit werden nur die kleinen Staaten Ecuador, Paraguay und Uruguay konservativ regiert. In Chile und Kolumbien sind dieses Jahr linke Regierungen an die Macht gewählt worden.

Die veränderte politische Konstellation in Brasilien wird auch dann Bestand haben, wenn Bolsonaro selbst am 30. Oktober nicht gewählt werden sollte. Denn der Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat weiterhin gute Chancen bei den Stichwahlen am Ende des Monats zu gewinnen. Er hat 48,4 Prozent der Stimmen bekommen. Es fehlten ihm nur knapp zwei Millionen Stimmen für einen Sieg im ersten Wahldurchgang. Doch auch ein Wahlsieg Bolsonaros ist gut möglich.

Die Finanzmärkte reagierten positiv auf das Ergebnis: Die Börse legte zu, der Dollar verlor und die Risikoaufschläge auf brasilianische Bonds sanken.

Die positive Reaktion lässt sich einerseits damit erklären, dass die Wirtschaft, in der viele hinter Bolsonaro stehen, nun weiterhin auf einen Wahlsieg des Präsidenten hofft.

Andererseits hat Lula jetzt nicht den erhofften Blankoscheck bekommen. Bisher hat er sich nur ausweichend zu seiner Personalauswahl und Vorstellungen zur Wirtschaft geäußert. Lula muss jetzt wirtschaftlich Farbe bekennen, um mehr Stimmen aus der Mitte und der Wirtschaft gewinnen zu können.

Darüber hinaus hat Lula mit dem konservativen Kongress und vielen Bundesstaaten in der Hand von Bolsonaro-Vertrauten machtvolle Kontrolleure vorgesetzt bekommen: Er muss verhandeln, Koalitionen bilden und kann nicht einfach durchregieren.

Für Europa bedeutet die politisch konservative Trendwende in Brasilien aber auch, dass die politischen sensiblen Themen auf der gemeinsamen politischen Agenda nicht einfach verschwunden sein werden mit einer Abwahl Bolsonaros. Im Gegenteil: Es sieht jetzt nach dem Rechtsruck in der Politik kaum danach aus, als könnten in absehbarer Zeit, Gesetze und Institutionen wiederbelebt werden zum Schutze des Amazonas oder der Umwelt.

Im Falle eines – weiterhin möglichen – Wahlsiegs Bolsonaros könnte der Präsident in seiner zweiten Amtszeit mit der Mehrheit im Kongress und vielen Bundesstaaten sogar noch viel einfacher seine Vorstellungen durchsetzen.

Europa sollte sich schon mal Gedanken machen, wie es auf das veränderte Brasilien reagieren will.

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© Pixabay/Vinicius Oliveira

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