Deutschland und Südamerika aktualisieren ihre Beziehungen – dafür wurde es auch Zeit
Bundeskanzler Scholz´ Besuch in Südamerika ebnet den Weg für eine engere Zusammenarbeit mit der lange vernachlässigten Region. Es ist der erste Schritt einer Annäherung zwischen Partnern, die sich aus den Augen verloren haben.
von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ
Vor acht Jahren hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zuletzt Brasilien besucht. Im Rahmen der strategischen Partnerschaft mit dem Land startete sie Konsultationen zwischen den beiden Regierungen. Die sollten auf höchster Ebene regelmäßig alle zwei Jahre stattfinden.
Doch zu einer Fortsetzung kam es nie. Brasilien befand sich schon damals in einer schweren wirtschaftlichen wie politischen Krise. Kurz danach kam es zum Impeachment von Dilma Rousseff. Brasiliens Wirtschaft stagnierte über eine Dekade und zuletzt isolierte Präsident Jair Bolsonaro Brasilien mit seiner Umwelt- und Menschenrechtspolitik im Westen.
Im Nachhinein lässt sich sagen: Deutschland kam mit dem Angebot der Regierungskonsultationen mit Brasilien zehn Jahre zu spät. Denn der wirtschaftliche Boom und die geopolitische Aufwertung Brasiliens fanden von 2005 bis 2012 statt. Deutschland hatte die Aufbruchstimmung in Südamerika schlichtweg verschlafen.
Aber auch Lateinamerika insgesamt besaß lange keine Priorität bei der deutschen Regierung. Merkels Visite 2017 in Mexiko und Argentinien blieb weitgehend unbemerkt. Die Außenminister Guido Westerwelle (2009 bis 2013) und Heiko Maas (2018 bis 2021) versuchten die Region als Schwerpunkt ihrer Außenpolitik aufzuwerten – mit wenig Erfolg.
Das hat sich nun geändert: Bundeskanzler Scholz besuchte gerade in einer viertägigen Reise Argentinien, Chile und Brasilien. Diesmal stimmte vieles:
Timing: Der Kanzler besuchte Regierungen, denen die ausländische Aufmerksamkeit willkommen war. In Brasilien ebnete Scholz als erster Regierungschef auf Besuch seinem Kollegen Lula den Weg zurück in die Weltpolitik. Dem isolierten Argentinien zollte er Respekt. Auch Präsident Boric in Chile, der in einem Umfragetief steckt, konnte die Unterstützung durch Scholz gut gebrauchen. In allen drei Ländern wurde der Besuch aus Deutschland ausführlich registriert. Das war nicht immer so.
Politische Affinität: In den Staaten sind Regierungen an der Macht, die politisch der Ampelkoalition in Berlin nahestehen. Das gegenseitige Vertrauen ist größer als in den letzten zwei Dekaden. Das erleichtert den Austausch.
Interessenkoalition: So wie sich Deutschland in Südamerika Rohstoffe, Energie und Absatzmärkte sichern will, erhoffen sich die südamerikanischen Regierungen von Europa Technologietransfer, besseren Marktzugang und politische Alternativen zu den Großmächten China und den USA. Davon könnte das Abkommen zwischen dem Mercosur und der EU profitieren. Es ist für beide Seiten interessant.
Strategie: Scholz trat in Südamerika mit einer Mischung aus Soft-Power und Cash auf. Bei seinen Besuchen betonte er den Wert der Menschrechte und den Kampf für die Demokratie. Die ebenfalls in Brasilien anwesende Svenja Schulze, Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, regte eine engere Kooperation bei Umwelt- und Klimapolitik an und kündigte großzügige Mittel für ein Sofortprogramm an.
In Deutschland sorgte vor allem für Schlagzeilen, dass Brasiliens Präsident Lula im Ukrainekonflikt keine Partei ergreifen will und auf eine Friedenslösung drängt.
Das ist jedoch nicht überraschend und zeigt, wie schwierig es für den Westen ist, den globalen Süden im Ukraine-Krieg gegen Putin zu mobilisieren. In Lateinamerika ist der Rückhalt für Sanktionen gegen Russland gering.
Für Berlin sind diese Erfahrung genauso wichtig wie für Brasília, Buenos Aires und Santiago: Nur wenn Europa und Lateinamerika ihre Beziehungen einem Realitätsschock unterziehen, steigen die Chancen für künftige realistische Abkommen. Das EU-Mercosur-Abkommen, das nach 20 Jahren Verhandlungen auf Eis liegt, ist ein abschreckendes Beispiel dafür, wie es nicht weitergehen soll.