Archiviert: Wirtschafts- und Geldpolitik schaffen Vertrauen

Es ist erstaunlich, was ein gutes Finanz und Wirtschaftsteam in einer Regierung bewirken kann – auch wenn diese selbst höchst unbeliebt ist. Genau das erlebt Brasilien gerade. In den Umfragen schneidet die Regierung von Präsident Temer katastrophal ab: Nur drei Prozent der Brasilianer schätzen die Regierung noch positiv ein. 92 Prozent der Bevölkerung trauen dem Präsidenten nicht. Die Regierung hat nach nur eineinhalb Jahren im Amt so ein schlechtes Image, weil sie permanent in Korruptionsvorfälle verstrickt ist: Gegen mehrere Kabinettsmitglieder sowie gegen den Präsidenten selbst wird wegen Korruptionsverdacht ermittelt. Nur ihre Immunität schützt die Politiker vor Anklage und Verurteilung. Gleichzeitig hellt sich in Brasiliens Wirtschaft die Stimmung deutlich auf. Vor allem der Konsum zieht nach drei Rezessionsjahren wieder an. Die Autoverkäufe wachsen seit vier Monaten. Um acht Prozent hat der Umsatz dieser Schlüsselindustrie gegenüber 2016 zugenommen.

Die Zuversicht im Einzelhandel ist im September gewachsen. Erstmals seit 25 Monaten fragen Private wie Unternehmen wieder mehr Kredit nach. Die Umsätze in den Branchen Lebensmittel und Getränke, Pharma und Gesundheit wachsen kräftig. Auch ausländische Konzerne investieren in Brasilien: 82 Milliarden Dollar haben sie in den zwölf Monaten bis Ende August für Käufe und Fusionen nach Brasilien transferiert. Bei Versteigerungen von Öl- und Gaskonzessionen sowie Wasserkraftwerken haben Ende September ausländische Unternehmen vier Milliarden Euro bezahlt. Die wachsende Zuversicht zeigen auch die Prognosen: Knapp ein Prozent wird die Wirtschaft dieses Jahr wachsen, nachdem sie 2015/16 um 7,4 Prozent geschrumpft ist. Für 2018 erwarten die Investmentbanken ein Plus von knapp drei Prozent. Der Grund für den gestiegenen Optimismus der Konsumenten und Investoren trotz der schweren Politkrise liegt in der effizienten und kohärenten Geldund Wirtschaftspolitik der Regierung.

Zentralbank, Wirtschafts- und Finanzministerium ist es in einem Jahr gelungen, wieder Vertrauen zu schaffen. Die Institutionen hatten wegen der politischen Einflussnahme ihren guten Ruf verloren, den sie sich seit Mitte der neunziger Jahre im Kampf gegen die Inflation erarbeitet hatten. Diese wiedererlangte Zuversicht drückt sich vor allem in der Geldwertstabilität und dem Leitzins aus: Die Inflation mit drei Prozent und der Zins von acht Prozent sind so niedrig wie schon lange nicht mehr.

Damit zählt Brasiliens Realzins von fünf Prozent zwar weltweit immer noch zu den höchsten unter den Emerging-Markets. Für Brasilien ist das jedoch ein positiver Trend. Die niedriger als erwartete Inflation führt dazu, dass die Brasilianer real an Einkommen gewonnen haben. Ein Blick in die Supermarktregale mit nur langsam steigenden Preisen zeigt, wie schnell der Einzelhandel reagiert hat und nicht mehr wie zuvor mit Preiserhöhungen die Inflation automatisch fortschreibt. Vor allem die ärmeren Brasilianer, die mehr Geld für einfache Konsumartikel ausgeben (und vorher weniger an den Hochzinsen für Staatsanleihen verdient haben), profitieren davon. Die wachsende Nachfrage nach Konsumgütern hat die Auslastung in der Industrie erhöht. Die Arbeitslosigkeit ist erstmals im August gesunken, wenn auch bisher vor allem der informelle Sektor neue Stellen ausschreibt.

Die niedrigen Zinsen haben die Schuldenzahlungen der Unternehmen gesenkt. Erstmals nach 25 Monaten ist die Kreditnachfrage der Firmen gewachsen. Brasilianische Konzerne nehmen wieder vermehrt über Anleihen Kapital auf. Die Investmentbanken sehen im Kreditwachstum den wichtigsten Wachstumsantreiber der nächsten Monate. Zumal hier Nachholbedarf besteht: Das Verhältnis von Kredit zur Wirtschaftsleistung BIP ist heute auf 47 Prozent gesunken – von noch 54 Prozent vor zwei Jahren.

Es spricht also vieles dafür, dass der Konsum der Brasilianer das Land aus der Rezession bringen wird. Das ist positiv: Brasiliens Wirtschaftsleistung hängt zu zwei Dritteln vom Konsum ab. Das Land stellt trotz der schweren Rezession immer noch den achtgrößten Binnenmarkt weltweit dar. Vor zwei Jahren stand Brasilien unter den globalen Absatzmärkten noch auf Platz 6. Negativ an der Konsumorientierung ist, dass sie nicht von wachsenden Investitionen begleitet wird. Brasilien hat mit einer Investitionsrate von 16 Prozent im Verhältnis zum BIP eine der niedrigsten Quoten weltweit. Nur mit dem Konsum lässt sich das Wachstum nicht dauerhaft steigern. Dafür muss investiert werden, sonst steigt die Inflation wieder. Doch an der Zurückhaltung der Unternehmer wird sich in Brasilien erst mittelfristig etwas ändern: Das unklare politische Szenario vor den Präsidentschaftswahlen in einem Jahr wird die Unternehmen weiterhin vorsichtig vorgehen lassen. Die Firmen sollten sich also zuerst auf das Konsumwachstum in Brasilien einstellen.

Alexander Busch

Korrespondent Handelsblatt, Wirtschaftswoche, NZZ in Lateinamerika

Sunday Brief N°6

Dieser Sunday Brief ist auch als PDF mit der Kolumne, Stimme und dem Leitartikel verfügbar.

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