Lateinamerika im Umbruch: Dranbleiben ist die beste Option

Wirtschaftliche und politische Kehrtwenden erregen temporeich und fast simultan zwischen Nord und Süd die über 650 Millionen lateinamerikanischen Gemüter. Seit knapp einem Jahr versuchen die neuen Regierungen in den beiden größten Volkswirtschaften der Region ihre Wahlversprechen umzusetzen. Und das in entgegengesetzter Richtung: In Mexiko mit einer linksgerichteten, in Brasilien mit einer rechtsorientierten, aber wirtschaftsliberalen Agenda. Auch in Argentinien sorgte vor Kurzem die Präsidentschaftswahl mit dem Sieg des linken Oppositionskandidaten Alberto Fernández für einen bedeutenden Politikwechsel und damit den Abschied vom wirtschaftsliberalen Kurs Mauricio Macris.

Demonstrationen und Proteste in verschiedenen Ländern zeigen den Unmut von Teilen der Bevölkerung über die aktuelle Regierungspolitik, wie etwa in Ecuador oder aktuell in Chile, dem einstigen Musterkind für Stabilität in der Region. Kurz nach zweifelhaften Wahlen muss jetzt Bolivien mitten in einer politischen Krise einen neuen Präsidenten wählen. Im Gegensatz zu Venezuela, das immer noch unter einem andauernden Ausnahmezustand leidet.

Gerade in einer solchen Lage ist aber eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den dortigen Ländern das Gebot der Stunde, damit die langfristigen Perspektiven nicht im derzeit herrschenden Nebel übersehen werden. Denn die momentanen Umstände definieren den Markt nicht allein, die Eigenschaften tun dies vielmehr. Ein gemeinsamer Nenner ist beispielsweise in fast allen aktuellen politischen Spannungen in Lateinamerika zu erkennen: Eine wachsamere Gesellschaft, die mehr als je zuvor an Politik interessiert ist. Dies fordert die etablierten Systeme heraus – egal in welchem Land oder  welche Partei. Und gerade diese aufmerksame und anspruchsvolle Gesellschaft ist in den noch relativ jungen Demokratien Lateinamerikas eine wichtige Errungenschaft für mehr Rechtstaatlichkeit und bessere Rahmenbedingungen in der Zukunft.

Für 2020 bleibt es spannend. Die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China hinterlassen auch in der Region ihre Spuren. Die Unternehmen in Lateinamerika werden sich zunächst auf wirtschaftspolitische Ungewissheiten, eine insgesamt abkühlende Konjunktur und eine angespannte Lage einstellen müssen. Jedoch nicht auf Dauer. Auf Umbrüche folgt in Lateinamerika oft der Aufbruch. Und dabei wird die Rolle Brasiliens als Stabilitätsanker umso wichtiger: Schafft es das Land seinen ambitionierten Plan für Strukturreformen, Staatsmodernisierung und Infrastrukturausbau umzusetzen, so werden die Märkte der Region sehr davon profitieren. Ganz zu schweigen von der Marktöffnung Brasiliens, die nun auch Freihandelsabkommen mit den USA, China und anderen Nationen auf die Tagesordnung setzt. Ein Grund mehr für uns in Europa, die Ratifizierung des Freihandelsabkommens zwischen der EU mit dem Mercosur zügig anzugehen, solange wir noch im Rennen sind. Dranbleiben ist weiterhin die beste Option!

Foto des LADW Vorsitzenden Andreas Renschler - Volkswagen AG und TRATON SE
© TRATON SE

Andreas Renschler

LADW-Vorsitzender, Mitglied Konzernvorstand Volkswagen AG und CEO TRATON SE

Sunday Brief N°11

Dieser Sunday Brief ist auch als PDF mit der Kolumne, Stimme und dem Leitartikel verfügbar.

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