Zeitenwandel in Lateinamerika – warum es sich lohnt, genauer hinzusehen

von Andreas Renschler, Vorsitzender des LADW, Konzernvorstand Volkswagen AG und CEO TRATON SE.

 

Der Wandel in Lateinamerika läuft auf Hochtouren. Angefangen mit den neuen Präsidenten in den beiden größten Volkswirtschaften der Region: Der linke Andrés Manuel López Obrador in Mexiko und der rechte Jair Bolsonaro in Brasilien sind gerade dabei, das Establishment in ihren Ländern mit Hochdruck umzukrempeln und damit das politische und wirtschaftliche Klima Lateinamerikas zu verändern. Beide Staatsoberhäupter versprechen trotz der politischen Unterschiede das Gleiche: Mehr Wohlstand und nachhaltiges Wachstum. Davon könnten zwei Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung Lateinamerikas profitieren, für die Brasilien und Mexiko zusammengenommen stehen. Dass die Chancen für den Erfolg nicht gerade klein sind, zeigt das steigende Vertrauen von Investoren aus aller Welt. Es bleibt noch abzuwarten, welchen Weg beide Regierungen einschlagen werden, um ihre Versprechen zu halten. Sicher wird 2019 ein entscheidendes Jahr.

Weiter südlich auf dem Kontinent stehen ebenfalls richtungsweisende Präsidentschaftswahlen an: Die Argentinier müssen im Oktober dieses Jahres dem Neoliberalismus von Präsident Mauricio Macri eine Zu- oder Absage erteilen – möglicherweise auch verbunden mit Polarisierung wie zuletzt in Brasilien. Und im Norden Südamerikas tickt eine Zeitbombe: Venezuelas politische Krise muss ein friedliches Ende finden.

Gerade in solchen Momenten stellt sich wieder die Frage: Positioniert sich Deutschland in Lateinamerika bereits ausreichend? Sollten Deutschland und Europa vielleicht strategischer mit der Heimat von 650 Millionen überwiegend jungen Menschen umgehen? Noch ist Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Die Karten in Lateinamerika werden derzeit neu gemischt und die Haltung der ausländischen Partner auf den Prüfstand gestellt. Einerseits muss Mexiko in den Beziehungen zu den USA immer noch wie auf Eiern gehen, andererseits spricht man in Brasilien über eine noch nie da gewesene Allianz mit den USA, die Präsident Bolsonaro bei dem Besuch seines Amtskollegen Trump Anfang März knüpfte. Und China arbeitet weiterhin daran, seine Position in Lateinamerika zu stärken – langfristig und ohne Improvisation, denn Peking hat eine klare Strategie, was dort in den nächsten fünfzig Jahren erreicht werden soll.

Währenddessen muss sich die EU konsolidieren. Die Herausforderung Brexit muss gemeistert werden. Noch wichtiger ist, dass die EU ihr wirtschaftliches Gewicht besser in politisches Gewicht ummünzt. Wir sind der größte Wirtschaftsraum der Erde und haben ein berechtigtes Interesse daran, gegenüber den sich immer mehr polarisierenden Wirtschaftsmächten USA und China unsere Eigenständigkeit zu wahren. Wir sollten das Potenzial nutzen, das in der engeren Allianz zwischen der EU und den lateinamerikanischen Volkswirtschaften liegt. Bei den Vereinten Nationen machen die Staaten Lateinamerikas und der Karibik zusammen mit Europa ein Drittel der Gesamtstimmen aus. Die Jahrhunderte alte, kulturelle Verbindung beider Regionen sorgt für das nötige Vertrauen. Es lohnt sich, diese Region wieder neu als engen Partner und Verbündeten zu gewinnen.

Lateinamerika
© Pixabay, Gerd Altmann

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