Wird 2024 als China-Jahr in die Geschichte Südamerikas eingehen?
Gegenwärtig könnte China seinen politischen Einfluss in Südamerika deutlich ausweiten. In der zweiten Jahreshälfte stehen dafür einige wichtige Ereignisse an.
von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ
In Südamerika hat man sich inzwischen daran gewöhnt, dass Unternehmen aus China ganze Branchen und Regionen dominieren. So kontrollieren chinesische Staatskonzerne die Stromversorgung im Bundesstaat São Paulo, dem mit Abstand größten Wirtschaftszentrum Südamerikas, ebenso wie in der peruanischen Hauptstadt Lima.
In der chilenischen Hauptstadt Santiago fährt die größte städtische E-Bus-Flotte außerhalb Chinas. Kaum eine Straße in den Anden wird heute ohne chinesische Beteiligung oder Finanzierung gebaut. Im Bergbau der Region sind chinesische Konzerne längst auf dem Vormarsch.
Auch der Handel zwischen China und Lateinamerika hat rasant zugenommen. Im Jahr 2023 wurden Waren im Wert von fast 500 Mrd. US-Dollar zwischen China und Lateinamerika ausgetauscht, vor rund zwei Jahrzehnten waren es gerade einmal 18 Mrd. US-Dollar (2002).
Chinas Nachfrage nach Produkten wie Soja, Kupfer, Eisenerz, Öl und Lithium wird weiter steigen. Fast 90 Prozent des Handels werden über Brasilien, Mexiko, Chile, Peru und Kolumbien abgewickelt.
Die USA sind nach wie vor führend bei Investitionen und Handel mit Lateinamerika. Das liegt aber vor allem an Mexiko, das über ein Freihandelsabkommen (USMCA) eng mit den USA und Kanada verbunden ist. Auch Europa hat in Lateinamerika mehr investiert als China.
In Südamerika hingegen dominiert China eindeutig als Handelspartner. Dort stehen in den nächsten Monaten einige Ereignisse an, die auch die politische Dominanz Chinas in der Region deutlich stärken könnten.
So wird der chinesische Staatspräsident Xi Jinping im November den neuen Überseehafen Chancay in Peru einweihen. Es wird der mit Abstand größte Tiefseehafen auf der Pazifikseite Südamerikas sein. Er wurde unter der Leitung und Finanzierung des chinesischen Hafenbetreibers Cosco gebaut und finanziert. Der Containerhafen wird die Fahrtzeit zwischen Südamerika und China um zehn Tage verkürzen.
Der Hafen ist das Vorzeigeprojekt der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI) in Lateinamerika. Damit baut Peking weltweit die Infrastruktur für den Handel nach seinen Interessen um. In Lateinamerika haben 22 von 33 Staaten ein BRI-Abkommen mit China unterzeichnet.
Peking drängt nun vor allem Brasilien, ebenfalls ein solches Abkommen zu unterzeichnen. Auf dem G20-Gipfel in Brasília im November will Präsident Xi ein solches Abkommen als jüngsten außenwirtschaftlichen Triumph zum 50-jährigen Jubiläum der brasilianisch-chinesischen Beziehungen präsentieren.
Die Regierung Lula zögert noch. Was soll ein Abkommen an den guten Beziehungen zwischen den Staaten noch verbessern, fragt man sich in Brasília – und schreckt vor dem Hintergrund der geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China vor einer demonstrativen Annäherung an China zurück. Das Abkommen würde in den USA und in Europa genauso interpretiert werden. Wichtige Vertreter von Lulas Arbeiterpartei drängen jedoch seit längerem auf einen Beitritt Brasiliens zur BRT-Initiative.
In Uruguay stagnieren die Verhandlungen über eine Freihandelszone mit China, nachdem beide Regierungen ein Memorandum of Understanding unterzeichnet haben. Ein solches Abkommen würde das Ende des Mercosur in seiner jetzigen Form bedeuten. Denn Uruguay ist Mitglied und müsste dann austreten. In Montevideo hängt es von den Wahlen im November ab, ob die chinafreundliche Politik der jetzigen Regierung fortgesetzt wird.
Auch der zunehmend von China dominierte Staatenbund BRICS könnte bei seinem Treffen Ende Oktober in Russland die Aufnahme neuer Mitglieder aus Südamerika verkünden. Vor allem Venezuela und Bolivien wollen unbedingt beitreten.
Alles deutet darauf hin, dass China in diesem Jahr in Südamerika wichtige politische Fortschritte erzielen kann. Vor allem Europa wird dies als politischen und wirtschaftlichen Gegenwind zu spüren bekommen.