Wächst Südamerikas Infrastruktur jetzt endlich zusammen?
Der Hafen Chancay in Peru könnte Impulsgeber für die Entwicklung grenzüberschreitender Infrastruktur werden. Chinesische Investitionen spielen dabei eine wichtige Rolle.
von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ
Wenn sich Trucks von den Metropolen Brasiliens nach Westen zu den Pazifikstädten Perus oder Chiles auf den Weg machen, dann brauchen sie viel Zeit. Auf dem Landweg gibt es nur zwei oder drei Verbindungen über Fernstraßen, die jeweils etwa 3.500 Kilometer lang sind. Nach Süden geht es über Argentinien nach Mendoza und über die Anden zum chilenischen Hafen Valparaíso. Weiter nördlich führt eine Straßenverbindung durch Bolivien zu den peruanischen Häfen. Die reine Fahrtzeit beträgt im besten Fall 45 bis 50 Stunden.
Dabei müssen die Fahrzeuge Pässe von über 4.000 Metern Höhe überwinden oder durch Routen im Amazonasgebiet fahren, die mehrere Monate im Jahr in der Regenzeit nicht befahrbar sind. Wenn der Grenzübergang in den Anden kurz hinter Mendoza zugeschneit ist, müssen die 1.300 Lkw, die den Pass täglich überqueren, mitunter mehrere Tage warten, bis der Schnee geräumt ist. Auch auf der Route durch Bolivien können Unfälle die Fahrtdauer deutlich erhöhen. Die alternative, aber längere Route, die Brasilien und Peru direkt verbindet, wird kaum benutzt. Zudem sind die Grenzübergänge teilweise nachts geschlossen.
Noch immer teilen die Anden und die Amazonasregion den Kontinent in zwei Hälften und stellen kaum überwindbare Hindernisse dar. Doch das könnte sich nun erstmals ändern. Brasilien arbeitet derzeit intensiv an fünf „biozeanischen Korridoren“ zwischen den Staaten. Dabei handelt es sich um große Straßen-, Fluss- und Schienenprojekte in unterschiedlichen Phasen der Planung und Umsetzung.
Mit der Ende 2023 gestarteten Initiative „Rotas da Integração Sul-Americana” soll einerseits die Agrarregion Brasiliens im Westen des Landes an den Pazifik angeschlossen werden.
Am aussichtsreichsten sieht derzeit die „Amazonas-Route” aus. Dafür sollen die vorhandenen Flusswege nach Peru und Kolumbien genutzt werden. In den Ländern soll dann das Soja per LKW zu den Häfen am Pazifik transportiert werden. Zwei andere Routen sollen andererseits die Agrar- und Industrieregionen des brasilianischen Südens und Südostens an die Häfen Chiles und Perus binden.
Die Pläne dafür gibt es schon lange. Die unendlichen Hürden, die hohen Finanzierungskosten sowie die unterschiedlichen Regularien der beteiligten brasilianischen Bundesstaaten und Nationalstaaten haben die Umsetzung der ambitionierten Projekte bisher verhindert.
Neu sind jedoch die stark angestiegenen Handelsströme Südamerikas nach Fernost. Heute handelt Südamerika deutlich mehr mit Asien als mit Europa oder den USA. Chinesische Konzerne und südamerikanische Farmer würden deshalb gern den Transport von Agrargütern zwischen Südamerika und Asien beschleunigen und vereinfachen.
Derzeit benötigt ein Containerschiff vom brasilianischen Hafen Santos aus im besten Fall 35 Tage bis nach China. Die Route führt um das Kap der Guten Hoffnung an Afrika vorbei. Der Weg über den Panama-Kanal ist teurer.
Einen neuen Schub könnte nun der gerade eröffnete Hafen Chancay nördlich der peruanischen Hauptstadt Lima auslösen. Die chinesischen Investoren und Betreiber des Hafens wollen ihn über die Anden und durch den Regenwald mit allen Staaten verbinden – per Schiene, Fluss und Straße.
Denn je mehr Waren der Kontrolleur Cosco durch den Hafen verschifft, desto schneller rechnet sich die Investition von 3,5 Milliarden Dollar. Die Konkurrenz schläft schließlich nicht. Auch die anderen Pazifikhäfen in Chile (San Antonio, Valparaíso), Kolumbien (Buenaventura), Peru (Callao) und Ecuador (Guayaquil) investieren derzeit, um die Nachfrage nach Asientransporten zu decken.
Doch hinter Chancay steht mit China ein finanzkräftiger Investor. Der Hafen und die anderen chinesischen Infrastrukturprojekte in den Pazifikländern werden von Peking aus über die Belt and Road Initiative (BRI) finanziert. Nun ist auch Kolumbien der Seidenstraßen-Initiative Chinas beigetreten. Unter den großen Staaten Lateinamerikas sind nur noch Brasilien und Mexiko nicht Teil der chinesischen Infrastruktur-Initiative.
Das hat den brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva jedoch nicht davon abgehalten, vor wenigen Tagen in Peking die Finanzierung eines Schienenwegs durch den Amazonas zu den brasilianischen Agrargebieten zu diskutieren.
Für die Wirtschaft Südamerikas würde eine bessere Integration einen wichtigen Produktivitätsschub mit sich bringen. Der Grund: In Lateinamerika und der Karibik lag der Anteil des intraregionalen Handels im Jahr 2022 bei nur etwa 15 Prozent. Zum Vergleich: In Europa und Asien sind die intraregionalen Handelsanteile mit 69 bzw. 56 Prozent deutlich höher.