Wachstumsaussichten in Lateinamerika bleiben stabil
Wegen Trump wird die Region versuchen, die Beziehungen zu anderen Partnern auszubauen. Davon wird vor allem China profitieren, aber auch für Europa eröffnet sich eine historische Chance, die Zusammenarbeit zu stärken.
von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ
Selten waren Konjunkturprognosen für Lateinamerika so schwierig wie in diesem Jahr. Einen Vorgeschmack bekam Mexiko, als der US-Präsident eine Importsteuer von 25 Prozent auf Einfuhren aus dem südlichen Nachbarland ankündigte.
Die mexikanische Wirtschaft würde sofort in eine Rezession rutschen, die mindestens bis Ende 2026 andauern könnte, schätzte die Ratingagentur S&P. 80 Prozent der mexikanischen Exporte gehen in die USA. Rund 4,5 Prozent der Wirtschaftskraft hängen von den Überweisungen der geschätzten 37 Millionen Mexikaner in den USA ab.
Allerdings muss man den Unsicherheitsfaktor Trump in Lateinamerika regional relativieren. Während die Karibik, Zentralamerika und Mexiko stark von den Dekreten der neuen Regierung abhängen und die Aussichten entsprechend unsicher sind, gilt dies für Südamerika weit weniger.
Die Rohstoffexporteure der Region wie Argentinien, Brasilien oder auch Chile und Peru sind kaum vom nordamerikanischen Absatzmarkt abhängig. Im Gegenteil: Unter der ersten Trump-Administration (2017-2021) profitierten die südamerikanischen Rohstoffökonomien von steigenden Exporten nach China. Dort ersetzten sie US-Exporte, die aufgrund der chinesischen Sanktionen gegen nordamerikanische Importe ausfielen.
Einen ähnlichen Substitutionseffekt schließen die meisten Beobachter derzeit aus, da auch China aufgrund seiner wirtschaftlichen Stagnation die Importe von Erzen, Metallen und Agrargütern kaum steigern dürfte.
So sind die Aussichten für die lateinamerikanischen Volkswirtschaften – sieht man einmal vom Trump-Effekt ab – durchaus stabil: 2,2 Prozent wird die Region in diesem Jahr wachsen, schätzt JP Morgan, etwas mehr als im Vorjahr.
Das leichte Plus ist vor allem Argentinien zu verdanken, das unter Präsident Javier Milei in diesem Jahr erstmals wieder deutlich wachsen könnte (5,5 Prozent). Auch für Kolumbien (2,5 Prozent) und Ecuador (1,5 Prozent) erwartet die Investmentbank ein stärkeres Wachstum als im Vorjahr. Angesichts der schwierigen politischen Rahmenbedingungen in diesen Ländern sind diese Prognosen jedoch mit Vorsicht zu genießen.
In den anderen großen Volkswirtschaften fällt das Wachstum im Vergleich zu 2024 schwächer aus. Keine der sechs großen Ökonomien Lateinamerikas wird jedoch stagnieren oder gar in eine Rezession abrutschen.
Die neue Regierung in Washington und die damit verbundene Unsicherheit werden die Regierungen der Region aber veranlassen, sich nach neuen Handelspartnern umzusehen.
Vor allem für China ist Trumps schwer vorhersehbarer Kurs gegenüber Lateinamerika eine Steilvorlage. 2024 hat China seine Kooperation in Südamerika strategisch ausgebaut: Peking hat Argentinien Kredit gewährt, in Peru einen der größten Häfen des Kontinents eröffnet und mit Brasilien ein großes Investitions- und Kooperationspaket verabschiedet.
Damit kann China sein Engagement in Südamerika nahtlos intensivieren. Die Staaten werden chinesische Investitionen in die Infrastruktur begrüßen, wenn sich andere Investoren wie die USA zurückziehen oder Europa mit seinen eigenen Krisen beschäftigt ist.
In der zweiten Jahreshälfte bietet der BRICS-Gipfel in Brasilien ein politisches Forum, das China nutzen wird, um seine neue Verbundenheit mit Südamerika zu demonstrieren. Gut möglich, dass die USA auf eine solche Machtdemonstration in ihrer Einflusssphäre mit Sanktionen reagieren. Diese würden vor allem Brasilien treffen.
Für Europa bietet der mögliche Konfrontationskurs der USA gegenüber Lateinamerika eine historische Chance, sich als verlässlicher Partner ins Spiel zu bringen. Die Aussichten für eine Wiederbelebung des EU-Mercosur-Abkommens haben sich verbessert – trotz aller politischen Unsicherheiten, die die Verwirklichung der biregionalen Wirtschaftsgemeinschaft sowohl in Europa als auch in Südamerika weiterhin behindern könnten.
Europa sollte diese Chance nutzen und massiv in die Beziehungen zu Lateinamerika investieren – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.