Lateinamerika ist besorgt über die politische Einflussnahme Trumps
Noch ist unklar, wohin die Zollpolitik der USA gegenüber der Region letztendlich führen wird. Auch die Zukunft der EU-Freihandelsabkommen mit Lateinamerika ist offen.
von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ
Bis vor kurzem hofften viele Regierungen in Lateinamerika, dass sie weniger unter den US-Zollerhöhungen leiden würden als andere Regionen weltweit.
Einerseits verzeichnen die USA mit den fünf wichtigsten Ökonomien Südamerikas Handelsbilanzüberschüsse. Die Ausnahme ist Mexiko, mit dem die USA ein großes Defizit erwirtschaften. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Region ist jedoch durch das Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada verbunden. Das USMCA – das ehemalige NAFTA-Abkommen – wurde in Trumps erster Regierungszeit neu ausgehandelt und 2018 verabschiedet.
Tatsächlich wurden die Zollerhöhungen für Exporte aus Lateinamerika in die USA weniger stark erhöht als befürchtet. So gilt für viele Länder weiterhin der seit dem 1. April gültige Einfuhrzoll von 10 Prozent.
Das betrifft etwa die meisten mittelamerikanischen Staaten, die stark von den USA abhängig sind. Aber auch Rohstoffexporteure wie Peru und Chile profitieren davon, dass Kupferexporte (Erz, Kathoden) in die USA zollbefreit bleiben, was erst nachträglich verkündet wurde.
Völlig offen ist hingegen die Lage in Brasilien und Mexiko. Das ist bedeutsam für den Doppelkontinent: Mexiko liegt mit seiner Wirtschaftskraft dieses Jahr erstmals vor Kanada und ist damit nach den USA und Brasilien die drittgrößte Volkswirtschaft der Amerikas.
Mexiko konnte den für den 1. August 2025 angekündigten Zollsatz von 30 Prozent vorläufig vermeiden. Die USA haben eine Frist bis Ende Oktober zugestanden, um über eine weiterreichende Vereinbarung zu verhandeln. Seit dem 4. März 2025 erhebt die US-Regierung 25 Prozent Zölle auf mexikanische Importe, die nicht unter das USMCA-Abkommen fallen. Das betrifft etwa die Hälfte der mexikanischen Exporte in die USA. Produkte, die den USMCA-Regeln entsprechen (etwa Pkw), sind bislang von den Zöllen ausgenommen.
Mexikos Staatspräsidentin Claudia Sheinbaum ist es bisher gelungen, gegenüber Trump eine Deeskalationsstrategie zu verfolgen. So schickte sie 10.000 Soldaten zur Grenzüberwachung und verstärkte die Maßnahmen gegen den Fentanyl-Schmuggel an Mexikos Nordgrenze. Es bleibt jedoch weiterhin offen, wie Trump sich im Fall Mexikos entscheiden wird. Das Land ist eng mit den USA verbunden: 80 Prozent seiner Exporte gehen nach Norden. Viele US-Konzerne produzieren in Mexiko. Den Handelspartner Kanada, mit dem ebenfalls das USMCA-Abkommen besteht, bestrafte Trump beispielsweise mit einem Zoll von 35 Prozent – vor allem wegen der geplanten Anerkennung eines palästinensischen Staates.
Auch im Fall von Brasilien hat Trump seine Drohung mit Rekordzöllen an politische Forderungen geknüpft: Das Land soll das Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro wegen dessen möglicher Beteiligung an einem Staatsstreich sofort einstellen. Die brasilianische Regierung weigerte sich, dieser Forderung nachzukommen. Deshalb belegten die USA brasilianische Einfuhren mit dem Rekordsatz von 50 Prozent. Gleichzeitig nahm die Regierung jedoch knapp die Hälfte der brasilianischen Importwaren von der Erhöhung aus. Fast alle der wichtigsten Exportartikel aus Brasilien werden nun nur noch mit zehn Prozent besteuert, darunter Flugzeuge von Embraer, Öl, Orangensaft und Stahlprodukte. Für andere wichtige Exportprodukte wie Kaffee, Rindfleisch, Ethanol oder Zellulose gelten ab sofort 50 Prozent.
Der unmittelbare Schaden für die Region fällt den Prognosen zufolge geringer aus als erwartet. Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) rechnet mit einem Wachstum der Ökonomien in der Region um 2,2 Prozent und damit mit einem etwas höheren Wert als noch im April prognostiziert. Der IWF senkte jedoch die Prognose für das Wachstum Lateinamerikas und der Karibik für dieses Jahr von 2,4 auf 2,0 Prozent. Der Fonds warnt vor „Abwärtsrisiken durch Handelsunsicherheit, Zölle, Volatilität in den Lieferketten und Rohstoffpreisen”. Laut Moody’s könnte bei einem drastischen Anstieg der US-Zölle (etwa auf 20 Prozent) eine Rezession in Lateinamerika drohen, von der sich die Region erst ab 2028 erholen würde. Eine Eskalation der Auseinandersetzungen zwischen Washington und Brasilien, Mexiko oder Kolumbien aus politischen Gründen kann jeden Moment stattfinden.
Schwer einzuschätzen ist, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit lateinamerikanischer Exporte auf Drittmärkten durch die US-Zollpolitik verändern wird: So haben asiatische Staaten ihre Märkte für US-Produkte geöffnet. Ähnliches könnte bei Chinas Verhandlungen mit den USA geschehen. Lateinamerikanische Produkte könnten es dann auf diesen Märkten schwerer haben. Das Gleiche gilt für Investitionen, die jetzt unter Berücksichtigung der neuen Bedingungen in den USA dorthin umgeleitet werden – möglicherweise zu Lasten der Direktinvestitionen in Lateinamerika.
Unklar ist auch, wie sich die US-Zollpolitik auf die bilateralen Freihandelsabkommen der EU mit Lateinamerika auswirken wird. Dies betrifft sowohl die bestehenden als auch die neu verhandelten Verträge mit Chile oder Mexiko sowie das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur, das noch dieses Jahr abgeschlossen werden soll. Zwar dürfte das Interesse der Industrie in der EU und der Unternehmen in Lateinamerika zunehmen, den gegenseitigen Marktzugang zu erleichtern. Doch nun hat die EU gegenüber den USA Zusagen für Energieimporte und Investitionen gemacht, auf die ähnlich auch die lateinamerikanischen Staaten hoffen.
Zudem gilt in den Außenbeziehungen zwischen der EU und den mit ihr verbundenen Staaten in Lateinamerika weiterhin das Prinzip der Meistbegünstigungsklausel: Gewährt die EU den USA einseitig bessere Zollkonditionen (z. B. niedrigere Zölle auf Autos, Agrarprodukte, Maschinen) ohne ein Freihandelsabkommen, dann gilt grundsätzlich die WTO-Meistbegünstigungspflicht. In diesem Fall könnten auch Mercosur-Staaten oder andere Partnerländer in Lateinamerika dieselben Zollvergünstigungen verlangen.
Andererseits fürchten lateinamerikanische Industrie- und Konsumgüterunternehmen, dass weltweit agierende Konzerne versuchen könnten, ihre in die USA blockierten Exporte in andere Regionen umzuleiten – das wachsende Lateinamerika wäre ein interessanter Markt.



