Energie vom Acker – Brasiliens Stärke in Zeiten schwankender Ölpreise

Fast ein Drittel seiner Energie produziert das Land in der Agrarwirtschaft. Das macht es zu einem attraktiven Standort für nachhaltige Wertschöpfung.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

In den letzten Tagen wächst angesichts der Kriege im Nahen Osten auch in Lateinamerika die Sorge, dass der Ölpreis wieder historische Höhen erreichen könnte. Für die Weltkonjunktur wäre das schlecht, denn steigende Ölpreise würden die Inflation anheizen. Die Zentralbanken wären gezwungen, die Zinsen anzuheben. Die Folge wäre eine Stagnation der Weltwirtschaft bei hoher Inflation.

In Brasilien werden diese Szenarien weniger dramatisch gesehen als in Europa oder Asien, die von Ölimporten abhängig sind. Das liegt einerseits daran, dass Brasilien selbst ein großer Ölproduzent ist. Brasilien steht auf Platz 10 unter den weltweiten Ölexporteuren.

Andererseits deckt die eigene Landwirtschaft Brasiliens Energienachfrage. 30 Prozent der in Brasilien verbrauchten Energie in Form von Strom oder Treibstoff stammen von den Farmen. Das ist weltweit selten. Nur Thailand und die skandinavischen Staaten haben ähnlich hohe Anteile von Agrarenergie in ihren Energiesystemen. In Deutschland stammen lediglich rund acht Prozent der Energie aus Biogasanlagen. In Südamerika ist Uruguay ähnlich weit fortgeschritten.

Gerade ist eine entsprechende Untersuchung des Observatório de Bioeconomia der Fundação Getulio Vargas (FGV) in São Paulo erschienen. Dort werden Ethanol und Biodiesel aus Zuckerrohr, Mais und Soja als Treibstoffe beigemischt oder pur genutzt. In Brasilien wird ab August eine Beimischung von 20 Prozent Ethanol zu Benzin (E20) und von 15 Prozent Biodiesel zu Diesel (B15) landesweit vorgeschrieben sein.

Die Zuckerkonzerne verbrennen zudem Biomasse und speisen sie ins Stromnetz ein. Die Fabriken könnten heute so viel Strom erzeugen wie ganz Argentinien. In Biogasanlagen wiederum werden organische Abfälle zu Gas verarbeitet.

Der Anteil der Energie vom Acker wird noch zunehmen. Die zweite Generation der Ethanolproduktion steht jedoch erst am Anfang. Dabei werden Enzyme genutzt, um die Fasern des Zuckerrohrs zur Ethanolgewinnung zu verwenden. Auch die Ethanolproduktion aus Mais wächst rasant. Die ersten Pilotprojekte zur Produktion von SAF (Sustainable Aviation Fuel), also nachhaltig gewonnenem Treibstoff für Flugzeuge, sind angelaufen. Das wichtigste Ziel der Landwirtschaft wird es sein, den immer noch hohen Dieselverbrauch durch nachhaltig gewonnene Treibstoffe zu ersetzen.

Immer mehr Agrarbetriebe speisen ihren Strom direkt ins Netz ein oder werden mithilfe von Solarpaneelen energieautark. Dadurch werden sie auch bei der Entwicklung von grünem Wasserstoff eine Rolle spielen. Die Untersuchung der FGV zeigt, dass rund 60 Prozent der gesamten nachhaltig gewonnenen Energie in Brasilien aus der Landwirtschaft stammen.

Jedoch wird in Europa die nachhaltige Energieautonomie Brasiliens bisher kaum als Standortvorteil wahrgenommen. Das ist erstaunlich, denn angesichts der aktuellen geopolitischen Entwicklungen wird sie zu einem immer wichtigeren Standortfaktor.

Europa erlebt gerade erneut, wie abhängig es von ausländischer Energiezufuhr ist – sei es russisches Erdgas oder Öl aus dem Nahen Osten. Seit den „Ölkrisen“ vor einem halben Jahrhundert ist es Europa nicht gelungen, seine Abhängigkeit von Energieimporten zu reduzieren.

Brasiliens Pionierrolle bei der Energiegewinnung bleibt in Europa weitgehend unbeachtet. Mit dem Argument des mangelnden Naturschutzes, etwa beim Amazonas-Regenwald, werden die Fortschritte Brasiliens bei der Energiegewinnung aus Agrarrohstoffen oftmals einseitig betrachtet – und das Potenzial übersehen. China etwa sieht das anders und ist sehr daran interessiert, Teile des brasilianischen Agrar-Energie-Systems für sich zu adaptieren.

sugarcane
© Pixabay/Fietzfotos

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