Der Bundeskanzler besucht Südamerika – das Timing könnte nicht besser sein
Der Bundeskanzler trifft bei seiner Blitzvisite die Präsidenten Argentiniens, Chiles und Brasiliens. Bei allen Regierungen ist die politische Unterstützung aus Europa derzeit willkommen. Das sind gute Voraussetzungen, um über die Wiederbelebung des EU-Mercosur-Abkommens und die Versorgung mit Rohstoffen und grüner Energie zu sprechen.
von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ
Selten zuvor dürfte ein deutscher Kanzler in Südamerika mit so viel Wohlwollen und Aufmerksamkeit empfangen werden wie dieser Tage – auch wenn Olaf Scholz jeweils weniger als einen Tag in Buenos Aires, Santiago und Brasília verbringen wird.
All diese Regierungen stehen derzeit unter großen Druck:
In Argentinien stecken Wirtschaft und Politik in einer schweren Krise. Die Inflation beträgt fast 100 Prozent, die Devisenkasse ist leer und die Wirtschaft droht wieder zu stagnieren. Die Regierung ist ratlos, wie sie das Land aus der Krise fahren kann. Ohne die Hilfe des IWF wäre das Land zahlungsunfähig.
Für Präsident Alberto Fernández ist der Besuch des Bundeskanzlers vor allem eine wichtige politische Aufwertung, um zu zeigen, dass Argentinien nicht isoliert ist. Im Oktober sind Wahlen, da ist für Fernández jede positive Nachricht ein Plus.
Als Verhandlungspartner ist Argentinien schwierig: Innerhalb des Mercosur ist Argentinien der größte Bremser, der geschützte Märkte für seine Industrie wünscht und das Abkommen nachverhandeln will.
In Chile ist die Popularitätsrate von Präsident Boric im Keller: Zwei Drittel der Chilenen lehnen seine Regierung ab. Die Inflation ist mit fast 13 Prozent so hoch wie noch nie, die Zentralbank bremst. Die Wirtschaft wird dieses Jahr stagnieren.
Politisch ist die Regierung Boric möglicherweise diejenige, die der rot-grün-gelben Koalition in Berlin in Südamerika am nächsten steht. Zudem ist die Regierung an einer engen Partnerschaft mit Deutschland bei Rohstoffen und erneuerbaren Energien interessiert und auf dem Gebiet deutlich weiter fortgeschritten und verlässlicher als Argentinien oder Brasilien.
In Brasília ist die wichtigste Etappe des Bundeskanzlers. Lula ist dabei, Brasilien wieder auf die Bühne der Weltpolitik zurückzuführen. Kurz nach Scholz wird er die Präsidenten Joe Biden in den USA und Xi Jinping in China treffen. Nach dem knappen Wahlsieg, dem Amtsantritt und den Ausschreitungen in Brasília hat Lula an politischer Stärke gewonnen. Die Wirtschaft bleibt ihm gegenüber skeptisch.
Auch der brasilianische Präsident ist an einem schnellen Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens interessiert und versucht dafür, die Reihen zwischen den vier Mitgliedsstaaten in Südamerika zu schließen. Mit einer überzeugenden Umwelt- und Menschenrechtsagenda wird er Scholz helfen, auch in Europa die Widerstände gegen ein Abkommen mit dem Mercosur zu verringern.
Lula scheint derzeit seine einstige Außenpolitik wiederbeleben zu wollen: Dabei sieht er Brasilien in der Rolle des Vermittlers und Sprechers des globalen Südens. Ob diese Ambition noch in die Zeit der zunehmenden geopolitischen Spannungen und Auseinandersetzungen passt, bleibt abzuwarten.
Das heißt jedoch: Europa ist nur einer und sicherlich nicht der wichtigste außenpolitische Partner Brasiliens – die USA und China haben für den Pragmatiker Lula eindeutig Priorität. Das gilt auch umgekehrt: China ist derzeit hoch aktiv dabei, nach der Pandemiepause wieder seine Investitionen und politische Kanäle nach Brasilien und Südamerika zu beleben. Auch seitens der USA erfährt die Lula-Regierung eine Aufmerksamkeit, die Washington seit Jahrzehnten nicht mehr gegenüber Brasilien gezeigt hat.
Der Besuch des Bundeskanzlers ist auch so wichtig, weil Berlin den Kontinent fast eine Dekade links liegen ließ. Für die deutsche Wirtschaft ist die Reise von Scholz deswegen eine besondere Chance, in Südamerika doch noch den Fuß in die sich schließende Tür zu bekommen.