Schließt sich das Kreditfenster für Lateinamerika?

Es gibt weiterhin erfolgreiche Börsengänge in Lateinamerika. Konzerne aus der Region bekommen meist problemlos Kredit im Ausland. Das gilt auch für die meisten Staaten. Dennoch sieht es so aus, als würden die Finanzierungen für Lateinamerika schwieriger werden.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Die gute Nachricht zuerst: 20 Unternehmen haben dieses Jahr bereits erfolgreich Ihre Aktien an der Börse in São Paulo lanciert. Das ist mehr als zum gleichen Zeitpunkt im vergangenen Jahr. In 2020 öffneten an der B3 rekordmäßig 27 Unternehmen ihr Kapital als Aktien bei Initial public offerings (IPO). Bis vor kurzem sah alles danach aus, als würde es dieses Jahr einen neuen Emissions-Rekord geben. Immerhin haben sich jetzt rund 40 weitere Unternehmen angemeldet, die an der Börse Kapital aufnehmen wollen.

Doch – und das ist die schlechte Nachricht – das scheint zunehmend unwahrscheinlich. Rund 30 IPO oder Zweitemissionen wurden dieses Jahr bereits gecancelt. Nur jede fünfter Börsengang hat den Investoren bisher Gewinne gebracht.

Auch sonst sieht es in Lateinamerika derzeit so aus, als könnte sich das Kreditfenster verkleinern. Professionelle Investoren werden zögerlicher, ihr Kapital in Lateinamerika anzulegen. Das ist ein Trend, der schon letztes Jahr begann, wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) gerade feststellte: Danach war Lateinamerika im vergangenen Jahr bereits die einzige Emerging-Market-Region, in welche die Banken das Anleihevolumen reduziert haben. 39 Milliarden Dollar verlor die Region letztes Jahr, Brasilien verzeichnet davon allein ein Minus von 22 Milliarden Dollar.

Die Investmentbank JP Morgan erwartet, dass die Finanzierungen für Lateinamerika dieses Jahr knapper werden. Lateinamerika-Bonds verzeichnen die stärksten Rendite-Verluste weltweit. In Brasilien, Kolumbien und Peru fallen die Verluste sogar zweitstellig aus seit Jahresbeginn.

Daran wird sich so schnell nicht ändern, so JP Morgan. Die anhaltenden hohen COVID-Infizierungen und langsamen Impfkampagnen werden das Wachstum in Lateinamerika weiter verzögern. Es ist weiterhin möglich, dass eine dritte Welle an Corona-Mutanten in der Region für neue Rückschläge sorgen wird. Zudem steigt die Inflation, wegen hoher Lebensmittel- und Energiepreise. Die Zentralbanken erhöhen die Zinsen und bremsen damit die Konjunktur aus. Die wenigsten Regierungen haben noch finanzielle Spielräume im Haushalt, um die sozialen Folgen der Pandemie abzumildern – und wenn, dann nur auf Kosten weiterer Zinserhöhungen oder steigender Verschuldung.

Auch die zunehmenden politischen Spannungen in fast allen Ländern lassen Lateinamerika-Bonds unattraktiv werden für institutionelle Investoren, so JP Morgan.

Die gute Nachricht für die Region kam gestern aus Washington: Die US-Zentralbank wird nicht so schnell die Zinsen erhöhen. Für Lateinamerika bedeutet das eine Atempause.

COVID-19 in Latin America

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