Steuert die Region erneut auf eine Dekade schwachen Wachstums zu?

Die Prognosen der Investmentbanken für Lateinamerikas im nächsten Jahr fallen durchmischt aus. Morgan Stanley (MS) rechnet mit einem unterdurchschnittlichen Wachstum für die Region im nächsten Jahr. Die Regierungen müssen entscheiden, wie sie wachsende soziale Forderungen finanzieren: Das geht über Steuererhöhungen oder wachsende Haushaltsdefizite. Beides hemmt Investitionen und lässt die Produktivität sinken. Gegen die wachsende Inflation müssen die Zentralbanken zudem die Zinsen erhöhen. Das bremst das Wachstum. Die Geldentwertung dürfte ab 2023 wieder im Griff sein, reduziert aber bis dahin die Massenkaufkraft.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Dieses Szenario gilt besonders für Brasilien: Hohe Inflation, wachsende Haushaltsdefizite und ein hoher Leitzins sorgen für ein Wachstum von mageren 0,5 % im nächsten Jahr, in dem zudem Präsidentschaftswahlen anstehen, welche für politische Spannungen sorgen werden. Erst ab 2023 wird Brasilien wieder auf den Wachstumstrend (von 1,8 % jährlich) einschwenken.

Mexiko wird von der Erholung der Konsumnachfrage sowie der globalen Lieferketten profitieren. MS rechnet mit 3,2 % Wachstum im nächsten Jahr.

Argentinien: Wird die Regierung in den zwei verbleibenden Jahren noch Reformen in Angriff nehmen und sich mit dem IWF auf eine Umschuldung einigen? Die Chancen stehen nicht gut. Wachstumsprognose: 1 %.

Kolumbien wird von den höheren Ölpreisen und der zunehmenden Beschäftigung profitieren und das Wachstum in der Region mit 3,9 % anführen. Ende Mai finden Präsidentschaftswahlen statt. Deren Ausgang ist völlig offen.

Chile erlebt heftige politischen Zeiten mit Wahlen und parallel tagenden Verfassungsversammlung. Nach einer Überhitzung der Wirtschaft infolge der Stimulierung der Verbraucher (Pensionsfondsabzüge) wird die Wirtschaft im nächsten Jahr wegen der straffen Geldpolitik nur noch um 2,4 % wachsen (nach 11,8 % in diesem Jahr).

Auch in Peru wird nach dem kräftigen Aufschwung in diesem Jahr (10,6 %) das Wachstum 2022 schwächer ausfallen (3,2 %).

In beiden Andenstaaten könnte die erwartete weltweite Konjunkturabschwächung zu niedrigeren Kupferpreisen führen und auch die politische Unsicherheit für einen Rückgang der Investitionen sorgen.

Fazit: Da kaum zu erwarten ist, dass sich die politischen Forderungen nach mehr staatlichen Sozialleistungen als vorübergehend erweisen, hält es MS für wahrscheinlich, dass Lateinamerika erneut vor einem Jahrzehnt mit unterdurchschnittlichem Wachstum stehen könnte.

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