Steht Südamerika vor einem Linksrutsch in der Politik?

Die politischen Ereignisse, Umfragen und Abstimmungen der letzten Wochen lassen diesen Schluss zu: Mittelfristig ist ein Linkstrend in Südamerikas Politik wahrscheinlich. Doch anders als ihre Vorgänger in den 2000er Jahren, wird die neue Generation der Linken weniger Ressourcen zur Verfügung haben.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Derzeit sieht es danach aus, als werde Ecuadors neuer Präsident Guillermo Lasso politisch bald ziemlich einsam sein in Südamerika. Der Banker und wirtschaftsliberale Konservative könnte schon bald bei regionalen Gipfeln mit Kommunisten, Marxisten und ehemaligen Guerilleros als Staatschefs zusammentreffen.

So ist in Peru der Marxist Pedro Castillo der Favorit in den Umfragen für die Stichwahlen am 6. Juni. In Chile ist Daniel Jadue von der Kommunistischen Partei derzeit der aussichtsreichste Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im November. In Kolumbien schließlich führt der ehemalige Bürgermeister und Guerillero Gustavo Petro die Polls für die Wahlen in einem Jahr. Und auch in Brasilien hat derzeit der Ex-Präsident und Arbeiterführer Luiz Inácio Lula da Silva die besten Aussichten, den Amtsinhaber Jair Bolsonaro in eineinhalb Jahren zu schlagen.

Noch ist jedoch völlig offen, wie sich dieser politische Wandel auf die Wirtschaft in der Region auswirken wird. Als die Linke in Südamerika das letzte Mal flächendeckend an die Macht kam, profitierte sie vom Rohstoffboom, der über eine Dekade anhielt und von Öl bis Soja, von Kupfer bis Rindfleisch die ganze Palette an Agro- wie Industrierohstoffen umfasste. Der Exportboom sorgte für volle Devisenkassen und hohe Steuereinnahmen. Das erklärt, warum sich Politiker wie Chávez in Venezuela oder die Kirchners in Argentinien trotz ihrer schwachen Politik so lange erfolgreich an der Macht halten konnten.

Diesmal ist die Ausgangslage anders: Zwar gibt es auch jetzt einen Rohstoffboom. Doch es sieht nicht danach aus, dass der sich zu einem Superzyklus entwickeln wird. Den letzten langen Zyklus für Rohstoffe hatte China ausgelöst mit seiner rasanten Urbanisierung und den Aufstieg seiner Bevölkerung in die Mittelschicht.

Heute dagegen sind die öffentlichen Haushalte schwer im Defizit nach nun eineinhalb Jahren sozialer Ausgleichleistungen und ausgefallener Einnahmen während der Pandemie. Die Wachstumsprognosen fallen durchmischt aus, weil die Corona-Krise noch länger nicht beendet sein wird. Die Impfkampagnen verlaufen nur langsam.

In der Folge schwächeln die Währungen in ganz Südamerika. Zudem sinkt die Bereitschaft der ausländischen Investoren, Kredit zu geben. Die Herabstufung von Kolumbiens Anleihen auf Junk-Niveau letzte Woche sind ein Vorbote dafür, dass mit größerem politischen Risiko auch Südamerikas Kreditwürdigkeit weiter sinken wird.

Die möglicherweise bald an die Macht kommenden linken Regierungen in Südamerika werden also kaum die Verteilungspolitik ihrer Vorgänger in den 2000er Jahren fortsetzen können. Sie müssen mit weniger Ressourcen die sozialen Bedürfnisse einer ärmeren Bevölkerung befriedigen. Nur wenn ihnen das gelingt, werden sie sich an der Macht halten können.

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