Archiviert: Keine Entwarnung in Sicht für Lateinamerika

Lateinamerika erlebt auch nach fünf Monaten mit der Pandemie noch keine sinkenden Infektionsraten. Dennoch können die Regierungen immer weniger soziale Distanzierungsmaßnahmen durchsetzen. Die Folge: Kurzfristig verbessern sich die Wachstumsraten, aber wegen der notwendigen neuen Schließungen wird die Erholung langsamer ausfallen.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Lateinamerika lebt nun seit fünf Monaten mit der Pandemie durch Covid 19. Doch anders als China oder große Teile Europas, nehmen die Ansteckungsraten insgesamt noch nicht ab. Im Gegenteil, die Infizierungen steigen oder explodieren gar immer wieder neu in einzelnen Regionen und Ländern. Von Entwarnung kann also keine Rede sein. Das gilt selbst für Uruguay nicht, welches mit einem vorbildhaften Krisenmanagement die niedrigsten Infizierungen und Todesrate aufweist, obwohl die Nachbarländer Argentinien und Brasilien schwer von der Pandemie betroffen sind.

Den Regierungen fällt es nach nun rund zwei Monaten Quarantänemaßnahmen schwer, ihre Bevölkerungen weiter zur Isolation anzuhalten. Das führt zu ganzen oder teilweisen Öffnungen im Handel und bei den Dienstleistungen, die dann wieder zurückgenommen werden müssen, weil die Zahl der Infizierten hochschnellt, wie etwa in Argentinien, Chile, Kolumbien oder Brasilien.

Diese vorschnellen Öffnungen haben den paradoxen Effekt, dass die Wachstumszahlen für das zweite Quartal zum Teil besser ausgefallen sind, als erwartet. Das gilt vor allem für Brasilien, Mexiko und auch Chile, welche keine oder nicht konsequente Distanzierungsprogramme aufgelegt haben. Die Staaten mit den härtesten lockouts wie Peru und Argentinien dagegen verzeichnen die stärksten Rezessionen. Dennoch sollten diese Zahlen nicht zu einem verfrühten Optimismus verleiten: Kommt es zu neuen Schließungen, dann wird die wirtschaftliche Erholung länger brauchen.

Positiv auf die Konjunktur wirken die massiven staatlichen Kompensationsmaßnahmen wie in Chile oder Brasilien. Auch Chinas sowie möglicherweise Europas schnellere Erholung könnte über ein weiteres Exportwachstum an Rohstoffen aus Agro und Bergbau für einen Wachstumsschub in Südamerika sorgen. Das gilt auch für Mexiko, welches von einer – derzeit aber noch nicht erkennbaren – Erholung der US-Wirtschaft profitieren könnte. Auch an den Finanzmärkten hat sich die Stimmung gebessert: Staaten und Unternehmen aus Lateinamerika hatten in den letzten Wochen erstmals wieder Zugang zu internationalem Kredit.

Die stärksten Rezessionen werden Mexiko (-10,5%), Peru (-13,5%) und Argentinien (-13,4%) dieses Jahr erleben, erwartet JP Morgan. Brasiliens Wachstumsaussichten hat die Investmentbank gerade auf -6,2% verbessert. Lateinamerikas Wirtschaftskraft wird dieses Jahr um 8,6% schrumpfen. Wegen der wahrscheinlich immer wieder notwendigen Quarantäne-Maßnahmen wird die Region sich trotz des schwersten Einbruchs seit 100 Jahren auch 2021 nur schwach erholen (4,1% Wachstum).

COVID-19 in Lateinamerika

Entwicklung der Fallzahlen in der Region


Aktuell gemeldete Fallzahlen in den einzelnen Ländern

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