In Brasilien schlagen gerade mehrere Corona-Wellen auf einmal zusammen

In Brasilien spitzt sich die Pandemie zu: Die Intensivstationen sind in den meisten Bundesstaaten überlastet, die Zahlen der Neuinfizierungen wie die der Toten erreichen Rekordwerte. Es gibt wenig Aussichten, dass sich das in den nächsten Wochen ändern wird. Durch das Krisenmanagement der Regierung kommt nun auch der Real massiv unter Druck.

von Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent für Handelsblatt und NZZ

 

Es ist als würde die zweite und dritte Welle der Pandemie zusammen auf Brasilien zurollen. Die Zahl der Infizierten erreicht bald die Elf-Millionen-Grenze, mit knapp 60.000 Neuinfizierungen pro Tag. Damit liegt Brasilien zwar mit 682 Neuinfizierungen pro eine Million Einwohner bei den Ansteckungszahlen hinter einigen europäischen Staaten, wie etwa Frankreich oder Schweden. Doch in Brasilien steigt die Geschwindigkeit der Infizierungen jetzt sehr schnell an: In zwei Wochen hat sie um mehr als 20 Prozent zugelegt.

Das brasilianische Gesundheitssystem stößt zunehmend an seine Grenzen. Sowohl in privaten wie öffentlichen Kliniken sind in 19 von 27 Bundesstaaten die Intensivstationen über 80 Prozent belegt. In Brasilien kommen auf 1000 Einwohner gerade zwei Krankenhausbetten. In Deutschland sind es viermal mehr. Mit zuletzt 1726 Verstorbenen an einem Tag hat Brasilien erstmals sogar die USA übertroffen und steht nun mit 260.000 Corona-Opfern weiterhin auf Platz 2 weltweit.

Weil die Zahl der täglichen Infizierungen weiter ansteigt, verhängen immer mehr Bundesstaaten Lockdowns. Den Regierungen bleibt auch nicht viel anderes übrig. Denn einerseits sind zwar die Impfkampagnen mit Erfolg angelaufen. 7 Millionen Menschen wurden bereits einmal geimpft, das sind 3,3 Prozent der Bevölkerung. Doch der Nachschub an Vakzinen stockt und die Impfungen verlaufen weiterhin zögerlich.

Gleichzeitig hat die Bundesregierung bisher keinen nationalen Strategieplan für die Bekämpfung der Pandemie vorgestellt. Der Ankauf der Vakzine verläuft langsam und wenig transparent. Experten sind skeptisch, dass die nun vom Gesundheitsminister für die nächsten Monate angekündigten Impfmengen auch tatsächlich zur Verfügung stehen werden.

Inzwischen scheint es, dass das Gesundheitsministerium und die Behörden des Bundesstaates Amazonas mitverantwortlich sind, dass sich neue Varianten des Corona-Virus wie P1 rasant in ganz Brasilien ausbreiten. Weil in der Amazonas-Hauptstadt Sauerstoff fehlte, wurden von dort im Januar rund 500 Patienten in Krankenhäuser in ganz Brasilien verteilt ohne verschärfte Isolationen. Zudem wird der Verkehr aus der Amazonasstadt nicht kontrolliert. Renommierte Epidemiologen erklären damit die schnelle Ausbreitung der neuen Varianten auch im weit entfernten Südbrasilien.

Nach einer Einschätzung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich reagieren die Investoren inzwischen direkt auf ein chaotisches Pandemie-Management wie in Brasilien. Die Bank der Banken in Basel hat die Auswirkungen der hohen Zuwachsraten bei den Infizierungen in Staaten wie Brasilien, Argentinien und Kolumbien auf den Wechselkurs verglichen mit denen in den Ländern Asiens, welche die Pandemie erfolgreicher eingedämmt haben. Dabei korrelieren schwache Währungen mit schwachem Krisenmanagement in der Pandemie. Die südamerikanischen Zentralbanken stehen nun vor der schwierigen Lage, dass sie die wegen der schwachen Währungen und der damit einhergehenden steigenden Inflation nun bald die Zinsen erhöhen müssen – bevor die Ökonomien jedoch wieder zu wachsen begonnen haben.

Den Brasilianern bleibt derzeit nichts anderes übrig als zu hoffen, dass die Bundesregierung sich schnell mit den Bundesstaaten, Gemeinden und möglicherweise künftig auch Unternehmen auf eine gemeinsame Strategie bei der Immunisierung der Bevölkerung einigen wird.

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